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Bundeshalt und Wachstumsinitiative 2025: Kein radikaler Sparkurs, aber …

… weder ein offensiver Zukunftshaushalt noch Aussicht auf sozialstaatliche Erneuerung

„Den Appetit nach immer höheren Staatsausgaben bremsen.“ (Lindner)

Die Koalition will nach eigenem Bekunden mit dem Haushalt 2025 die Wirtschaft wieder in Schwung bringen und Sozialleistungen erhalten. Doch der Haushalt bleibt auf Kante genäht: die Schuldenbremse bleibt, kein Sondervermögen für die notwendigen Zukunftsinvestitionen in den ökologischen Umbau und keine Steuer- und Finanzpolitik, die neue Finanzspielräume verteilungsgerecht schafft. Stattdessen führt das Lindnersche Credo vom zu bremsenden „Appetit der Politik nach höheren Staatsausgaben“ (FAZ.net v. 17.7.2024) geradewegs in immer neue Verteilungskonflikte und haushaltstechnische Kunstgriffe.

Sozialstaat als Problemtreiber?

Das schlägt sich auch in der Sozialpolitik nieder. Dass für Wirtschaftsliberale und Arbeitgeberlobbyisten Sozialausgaben und Sozialversicherungsbeiträge Problem- und Kostentreiber sind, ist nichts Neues. Dass die Ampel-Parteien das alte Narrativ von den zu hohen Sozialversicherungsbeiträgen bedient, ist und bleibt gleichwohl bedenklich. Mit der Formulierung, dass „der mittelfristigen Stabilität der Sozialversicherungs-Beiträge eine wichtige Rolle“ zukomme, da sie die Höhe der Lohnnebenkosten maßgeblich bestimme, ziehen neue düstere Wolken am sozialpolitischen Horizont auf. Eingekreist von einer noch immer lahmenden Wirtschaft, dem Lohnnebenkostendogma und der Schulden- und Steuerbremse scheinen heftige Gewitter im Streit um die Sozialausgaben vorprogrammiert. Für die Beschäftigten bedeutet das nichts Gutes. Denn von einer Deckelung der Sozialbeiträge profitieren allein die Arbeitgeber. Für die Beschäftigten gilt dies nicht gleichermaßen. Wollen sie bestehende und drohende künftige Lücken sozialer Sicherheit nicht hinnehmen, müssen sie privat vorsorgen – allein. Das durch niedrigere Beitragssätze monatlich erhöhte Nettoentgelt, müssen sie an anderer Stelle für teure individuelle Vorsorge wieder ausgeben. Beschäftigte fahren allemal besser mit moderat erhöhten, paritätisch finanzierten SV-Beiträgen. Der Konflikt um Leistungskürzungen im Sozialbereich ist nicht aufgeboben, sondern wohl nur aufgeschoben.

Hoffen auf mehr Wirtschaftswachstum

Zugleich hat die Koalition mit dem Haushalt Eckpunkte einer Wachstumsinitiative beschlossen. Deren lange Liste von Maßnahmen (49) soll am Ende rund 5 Milliarden Euro mehr an Steuereinnahmen bringen. Auffällig ist dabei, dass Maßnahmen in Bereich der Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik eine besondere Rolle spielen sollen. Da wären etwa eine Reihe von arbeits- und rentenrechtlichen Maßnahmen, die die Beschäftigungsquote Ältere heben und so einen Beitrag zur Fachkräftesicherung leisten soll.

Ein „neues Regime der Altersbeschäftigung“

Mit einer Art Kombi-Lohn-Modell sollen Unternehmen mehr Möglichkeiten an die Hand gegeben werden, Arbeitskräften im Rentenalter finanzielle Anreize zur Weiterarbeit zu bieten. So sollen künftig arbeitenden Rentenbeziehenden die Arbeitgeberbeiträge zur Renten- und Arbeitslosenversicherung ausgezahlt werden können. Bislang gilt, dass Arbeitgeber, die eine Bezieherin oder einen Bezieher einer vollen Altersrente (weiter)beschäftigen, verpflichtet sind, weiterhin den Arbeitgeberanteil an die Rentenversicherung (aktuell 9,3 Prozent) zu entrichten, obwohl der oder die Beschäftigte versicherungsfrei in der Rentenversicherung ist.[1] Zudem sollen künftig die Zuschläge für jene, die über die Regelaltersgrenze hinaus arbeiten, auch als Einmalzahlung („Rentenaufschubprämie“) fließen können.[2] Statt monatlich eine höhere Rente, das ganze Leben lang, gäbe es dann die einmalige Auszahlung.

Und auch arbeitsrechtliche Maßnahmen sollen die Beschäftigungsquote Älterer erhöhen: Geplant ist eine sachgrundlose Befristung nach Überschreiten der Regelaltersgrenze im gleichen Betrieb, in dem man zuvor beschäftigt war, zu ermöglichen. Das so genannte Vorbeschäftigungsverbot würde aufgehoben, wenn Beschäftigte einen Anspruch auf eine Altersrente haben und die sachgrundlose Befristung die Gesamtdauer von acht Jahren oder die Anzahl von 12 Vertragsbefristungen nicht übersteigt. Kettenbefristungen für Alte!

Falscher Ansatz

Mal abgesehen davon, dass massenhafte Erwerbsarbeit im Alter gesellschaftspolitisch betrachtet ein fragwürdiges Ziel ist, muss auch bezweifelt werden, ob auf die hier vorgeschlagene Weise wirklich mehr Fachkräfte gewonnen werden können. Ausweitung der sachgrundlosen Befristung nach der Regelaltersgrenze und mehr Netto für arbeitende Rentner zu Lasten von Sozialkassen und Steuerhaushalt sind kein nachhaltiger Beitrag zur Fachkräftesicherung. Kombi-Lohn-Modelle zur Förderung der Altenarbeit können sich schnell gegen die Aus- und Fortbildung junger Fachkräfte kehren und zur arbeitsmarktpolitischen Sackgasse werden. Wer Fachkräfte will, muss aus- und fortbilden, was für die Vereinbarkeit tun und die Arbeitsbedingungen verbessern, sonst schaffen es viele nicht bis zur Rente. Wer insbesondere ältere Fachkräfte halten will, muss an die Arbeitsbedingungen ran! Was es braucht, sind alters- und alternsgerechte Arbeitsbedingungen in der noch laufenden Erwerbsphase.

Mehr Druck und Anreize für längeres Arbeiten

Zuschläge für Mehrarbeit sollen steuer- und beitragsfrei gestellt werden. Zudem soll eine begrenzte Möglichkeit zur Abweichung von den derzeit bestehenden Regelungen des Arbeitszeitgesetzes hinsichtlich der Tageshöchstarbeitszeit geschaffen werden, wenn Tarifverträge oder Betriebsvereinbarungen auf Grund von Tarifverträgen dies vorsehen. Die Regelung soll befristet und evaluiert werden.

Die Zahl der gesundheitsgefährdenden Überstunden in Deutschland ist heute schon signifikant hoch. So haben die Beschäftigten in Deutschland im vergangenen Jahr rund 1,3 Milliarden Überstunden geleistet. Davon waren mit 775 Millionen Stunden mehr als die Hälfte unbezahlt. Hinzukommt, dass Steuerfreiheit eine Sozialversicherungsfreiheit nach sich zieht und damit Beschäftigte zwar kurzfristig mehr netto in der Tasche haben, aber längerfristig Nachteile bei Renten, Kranken-, Arbeitslosen- oder Kurzarbeitergeld in Kauf nehmen müssen.

Wer in Deutschland das Arbeitsvolumen steigern will, sollte nicht auf die tägliche oder wöchentliche Höchstarbeitszeit schauen, sondern jenen, die unfreiwillig in Teilzeit sind, durch bessere Rahmenbedingungen die Chance geben, mehr zu arbeiten. Der Weg dahin führt über eine verbesserte Infrastruktur bei Verkehrsanbindung, Kita-Plätze und schulischer Betreuung.

Zwischen Rentenniveaustabilisierung …  

Dass nun endlich die Ampel für das Rentenpaket II grün leuchtet, gehört zu den guten Nachrichten der Haushaltseinigung. In der Zusammenfassung zur Einigung heißt es: "Mit dem Haushaltsentwurf 2025 ermöglicht der Bund die Umsetzung des Rentenpakets II und damit ein verlässliches Rentenniveau und die künftige Stabilisierung der Beiträge in der gesetzlichen Rentenversicherung durch Erträge aus einem steigenden Kapitalstock (Generationenkapital)." Die gute Nachricht ist die Niveaustabilisierung! Mit ihr würde die rechtlich vorprogrammierte Entwertung der Renten für weitere 15 Jahre gestoppt. Das Leistungsniveau der gesetzlichen Rentenversicherung bliebe erhalten, die spürbare Verschlechterung der Einkommensposition aktueller und kommender Rentnergenerationen würde mittelfristig verhindert. Doch die Abwehr von Verschlechterungen wird nicht ausreichen. Die gesetzliche Rentenversicherung braucht ein dauerhafte höhere Leistungsziel. Nur so kann Lebensstandardsicherung und Armutsvermeidung im Alter realisiert werden.

… und Griff in die Rentenkasse

Man kann es drehen und wenden, wie man will. Die Einführung des Generationenkapitals bleibt eine rentenpolitische Fehlentscheidung. Zwar wird nicht mit Beiträgen zur Rentenversicherung spekuliert und die Höhe der Rentenzahlung hängt nicht am Anlagerfolg – das ist gut so! Aber die gesetzliche Rentenversicherung rückt ein Stück näher an die Risiken der Finanzmärkte heran. Und wenn es nach Minister Lindner geht, wartet schon die FDP-Aktienrente um aus dem „Generationenkapital 1.0“ das „Generationenkapital 2.0“ zu machen, um einem Teil der Rentenbeiträge am Aktienmarkt anlegen zu können und die Risiken auf Beitragszahler*innen und Rentner*innen abzuwälzen.

Gänzlich absurd ist die Kürzung des Bundeszuschusses. Einerseits sollen mit dem Generationenkapital Zuschüsse für die Rentenversicherung erwirtschaftet werden, um zukünftig den Beitragssatzanstieg um rund 0,4 Prozentpunkte zu dämpfen. Zugleich wird durch die jetzt geplanten, und zum wiederholten Male vorgenommenen Kürzungen des Bundeszuschusses (2 Mrd. bis 2027) die voraussichtlich im Jahr 2028 anstehende Steigerung der Rentenbeiträge durch die Minderung des Zuschusses höher ausfallen. [3]

Bürgergeld: Rolle rückwärts im SGB II

Erst 2023 wurde das Bürgergeld eingeführt. Aus gewerkschaftlicher Sicht wurden damit nicht alle Probleme des Hartz IV-Regimes überwunden, aber doch substanzielle Verbesserungen erreicht. Statt Kontrolle und Druck sollten seither mehr Respekt und Vertrauen Leitlinien in der Grundsicherung sein. Anstatt des Prinzips „Hauptsache Arbeit“ sollten Wege in nachhaltige Integration stärker in den Mittelpunkt rücken. Nun sind eine Reihe von Veränderungen angekündigt, von denen viele diesem Ansatz entgegenstehen:

  • Mehr Hinzuverdienstmöglichkeiten für Bürgergeld-Beziehende und eine „Anschubfinanzierung“, wenn es durch Arbeit gelingt den Bürgergeld-Bezug zu verlassen;
  • Verschärfung der Sanktionen beim Bürgergeld: Künftig sollen wieder direkt Sanktionen von 30% möglich sein;
  • Verkürzung der Karenzzeit beim Schonvermögen auf 6 Monate;
  • Monatliche Meldepflicht in Präsenz.

Hier droht eine Rolle rückwärts im Umgang mit Bürgergeld-Beziehenden. Einzig der Ansatz Erwerbsarbeit mehr zu honorieren, geht in die richtige Richtung.  Jedoch wird es auf die konkrete Regelung ankommen. Ansonsten kehrt das alte negative Menschenbild und die alte „Forderlogik“ zurück.

Druck und Sanktionen bleiben der falsche Ansatz: Die Annahme, dass höhere Sanktionen, Arbeitsanreize schaffen und die Betroffenen mehr Druck brauchen, ist wenig empirisch gestützt. Die meisten Menschen wollen arbeiten. Die Zahl von Fällen, in denen Menschen lieber Bürgergeld beziehen, ist verschwindend gering. Laut Bundesagentur für Arbeit waren 2023 von den an die 5,5 Mio. Bürgergeld-Beziehenden rund 3,9 Mio. Personen erwerbsfähig. Insgesamt wurden 226.008 Leistungsminderungen verhängt, davon waren 128.415 erwerbsfähige Bürgergeldbeziehende betroffen. Ganze 15.774 Minderungen mussten von Februar bis Dezember 2023 wegen "Weigerung zur Aufnahme oder Fortführung einer Arbeit, Ausbildung, Maßnahme oder eines geförderten Arbeitsverhältnisses" ausgesprochen werden. Dieser Sanktionsgrund liegt damit im untersten Prozentbereich! Doch diese Fakten dringen jenseits der Fachwelt kaum durch. Falschinformationen verfangen allzu leicht und auch in den Medien wurden vermeintliche „Aufreger“ allzu oft bereitwillig und unkritisch aufgegriffen. Im Kern handelt es sich bei den geplanten Maßnahmen schlicht um populistische Politik - mit verheerenden Folgen für die Betroffenen und die jetzt schon angespannte Personal- und Belastungslage in Job-Centern. Wieder mehr zu Verwaltungs- und Kontrollmaßnahmen genötigt, bleibt kaum Zeit für eigentlich notwendige und sinnvolle Beratung, Coaching oder Unterstützung.

Der Sozialstaat ist mehr wert als er kostet!

Für die IG Metall ist klar: Sozialkürzungen und Einschränkungen sozialer Rechte sind der falsche Weg. Gerade in Zeiten des Umbruchs gilt es, den Menschen neue Perspektiven auf Arbeit und Wohlstand zu eröffnen. Das wird nur gelingen, wenn man sozialstaatliche Leistungen und Zukunftsinvestitionen nicht gegeneinander ausspielt, sondern dem Sozialstaat die Rolle eines Problemlösers zuweist, der den sozial-ökologischen Umbau flankiert und fördert. 

Dafür reicht es nicht das Bestehende zu bewahren. Das wird erstens den Herausforderungen in der Transformation nicht gerecht. Zweitens kämpfen viele Menschen ohnehin tagtäglich damit über die Runden und mit den steigenden Bedarfen (etwa im Pflegesystem) klarzukommen. Eine Festschreibung des sozialstaatlichen Status Quo kommt unter diesen Umständen einer schleichenden Aushöhlung des sozialen Schutzes gleich. Dringend notwendige Investitionen in die sozialstaatliche Infrastruktur bleiben weit hinter den Bedarfen zurück und die Situation in Kitas, Schulen, Pflege- und anderen sozialen Einrichtungen verschärft sich weiter. Sozialinvestitionen in die Zukunft wird es aber nur geben können, wenn endlich die Steuer- und Abgabenpolitik die Tragelasten gerecht (um-verteilt, die Investitionsbremse der Schuldenbremse gelöst wird und das Dogma von den wirtschaftsschädlichen Lohnnebenkosten aufgegeben wird.

 

[1] Die Zahlung des Arbeitgeberanteils hat grundsätzlich keine Auswirkung auf die Höhe der Rentenleistung. Es sei denn arbeitende Rentner verzichten auf Versicherungsfreiheit und zahlen weiter auch eigene Rentenversicherungsbeiträge. Einmal im Jahr erhöht sich dann die Rente, und zwar durch den eigenen und den AG-Beitrag. Diese Option wäre dann verstellt.

[2] Wer seinen Rentenbeginn verschiebt und weiterhin eine Beschäftigung ausübt, erhält für jeden Monat des späteren Rentenbeginns einen Zuschlag von 0,5 Prozent auf seine Rente.

[3] Durch frühere Gesetze wurden für die Jahre 2024 bis 2027 bereits Kürzungen von jährlich 1,2 Milliarden Euro verankert.