Pflege - der Druck wächst
Eine echte Reform ist längst überfällig
Die Anzahl der Pflegebedürftigen steigt zurzeit rasant an. Ein Anstieg, den das Pflegesystem kaum auffangen kann. Denn schon jetzt ist die Belastung in der Pflege groß - im Heim und zuhause. Es ist längst überfällig, dass sich in der Pflegepolitik was tut. Denn wirkliche Entlastung und Unterstützung in der Pflege sind schon jetzt dringend geboten.
Pflege ist weiblich
Fast 5 Millionen Versicherte beziehen aktuell Leistungen aus der sozialen Pflegversicherung. Der Großteil der zu Pflegenden, rund 4 Millionen, wird durch pflegende Angehörige versorgt. Sowohl stationär als auch ambulant gilt: Pflege ist weiblich! Mehr als 80 % der Pflegekräfte in der Altenpflege sind Frauen. Angehörigenpflege wird in fast drei Viertel der Fälle von Frauen übernommen. Diese nehmen erhebliche Einschnitte und Belastungen in Kauf, um diese Pflege leisten zu können, wie eine aktuelle Studie des wissenschaftlichen Instituts der AOK zeigt:
- Ein Viertel der pflegenden Angehörigen schätzt sich durch die Situation als hoch belastet ein.
- Kein Wunder, denn die Studie zeigt auch, dass pflegende Angehörige im Schnitt 49 Stunden wöchentlich für die Pflege aufbringen.
- Pflege neben dem Beruf zu leisten ist so kaum möglich, sodass weniger als die Hälfte der pflegenden Angehörigen in Vollzeit arbeitet. Von den Frauen die Angehörige pflegen, lediglich 1/3. Über die Hälfte der Beschäftigten in Teilzeit, die Angehörige pflegen gab an, dass sie ihre Arbeitszeit aufgrund der Pflege reduziert haben.
- 28 % der pflegenden Angehörigen, die nicht arbeiten, gaben an, aufgrund der Pflege ihre Arbeit aufgegeben zu haben.
Für die Pflegepersonen hat die Reduzierung der Arbeitszeit oder die Aufgabe der Erwerbstätigkeit Folgen für die eigene soziale Sicherung. Sei es bei der Sicherstellung des eigenen Lebensunterhaltes oder der Rente. So ist nicht nur zu fragen, ob Pflegebedürftigkeit selbst ein Armutsrisiko ist, sondern auch die Pflege von Angehörigen. Die Ergebnisse sind aber auch ein fatales Zeugnis für die Vereinbarkeit von Beruf und Pflege – gerade angesichts der aktuellen Debatte um dringend benötigte Fachkräfte.
Was zahlt die Pflegeversicherung?
Wie viel die Pflegeversicherung zahlt, hängt vom Pflegegrad und von der Art der Pflege ab (stationäre Pflege im Heim oder ambulante Pflege zuhause durch Angehörige oder durch Pflegedienste). Die Leistungen der Pflegeversicherung decken jedoch in den allermeisten Fällen die Kosten für die Pflege nicht. Der Grund: die Absicherung über die Pflegeversicherung ist nur als Teilversicherung konstruiert. D.h. die Pflegeversicherung zahlt im Pflegefall nur einen Zuschuss zu den Kosten der Pflege. Dieser ist gedeckelt. Alles, was darüber hinaus geht, muss dann von den Pflegebedürftigen bzw. ihren Angehörigen selbst bezahlt werden. Dies betrifft sowohl die ambulante Pflege zuhause als auch die stationäre Pflege im Heim. Die Folge ist, dass Pflegebedürftige und ihre Angehörigen real immer größere Anteile an den Kosten der Pflege zahlen müssen – eine schleichende Privatisierung.
Finanzielle Belastung im Pflegeheim
Besonders die Kosten für Pflege im Heim sind immens hoch und für die meisten Pflegebedürftigen nicht bezahlbar. Aktuell müssen Pflegebedürftige im Heim monatlich durchschnittlich 2783 Euro aus eigener Tasche zahlen! Es gibt einige Bundesländer, die noch darüber liegen. Spitzenreiter ist aktuell das Saarland. Hier kostet Pflege im Heim durchschnittlich 3.200 Euro im Monat. Diese Summe setzt sich aus drei Posten zusammen: die Kosten für Unterkunft und Verpflegung, den pflegebedingten Eigenanteil, und die sogenannten Investitionskosten. Letztere sind Kosten, die zur Instandhaltung der Pflegeheime gezahlt werden (z.B. für Reparaturen, Sanierungen, Neuanschaffungen etc.). Eigentlich müssten die Länder, also der Staat, diese zahlen, da sie für die Bereitstellung der Infrastruktur in der Pflege zuständig sind. Diese tun dies jedoch mit Verweis auf ihre Haushaltslage und Sparvorgaben nicht, sodass sie auf die Pflegebedürftigen umgelegt werden. Der pflegebedingte Eigenanteil ist die größte Summe auf der Pflegeheimrechnung. Hier hat die Politik in den letzten Jahren minimale Verbesserungen in Form von Zuschüssen, gestaffelt nach Aufenthaltsdauer, erwirkt. Im ersten Jahr sind dies 15 %, allerdings eben nur auf den pflegebedingten Eigenanteil. Das macht aus den 2783 Euro dann reale 2576 Euro – immer noch eine zu hohe Summe. Die dazu führt, dass fast die Hälfte aller Pflegebedürftigen im Heim Sozialhilfe bezieht.
Daran geändert haben die Reformen der letzten Jahre wenig. Auch, weil die Deckelung der Anteile der Pflegeversicherung dazu führt, dass Kostensteigerungen wie durch die Inflation allein von den Pflegebedürftigen getragen werden.
Reformdruck wächst
Vor dem Hintergrund dieser dramatischen Lage ist klar: die Pflegeversicherung braucht eine Weiterentwicklung. Die Pflegeversicherung muss als Bürger- und Vollversicherung ausgestaltet werden: ein System für alle! Denn das duale System aus privater und sozialer Pflegeversicherung ist ebenso ungerecht und unzeitgemäß wie das zwischen aus privater und gesetzlicher Krankenversicherung. Mit den generierten Mehreinnahmen könnten die Leistungen der Pflegeversicherung weiterentwickelt werden, sodass die Pflegeversicherung alle pflegebedingten Kosten komplett übernimmt und mehr Leistungen die Vereinbarkeit zwischen Beruf und Pflege verbessern können. Damit die Gleichung Pflegerisiko = Armutsrisiko endlich aufgebrochen wird.