Und ewig grüßt das Murmeltier
Zur jüngsten Debatte um die Rente 63
Attacken auf die 'Rente 63'
Unionsfraktionsvize Spahn fordert angesichts des Fachkräftemangels ein sofortiges Ende der 'Rente 63'. "Die ‚Rente mit 63‘ kostet Wohlstand, belastet künftige Generationen und setzt die falschen Anreize", sagte Spahn der Bild am Sonntag. Die Fachkräfte, die früher in Rente gegangen seien, fehlten nun „bitterlich“.
Und unter Berufung auf eine von ihnen in Auftrag gegebene Prognos-Studie verspricht die Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft (INSM) für den Fall, dass die 'Rente 63' abgeschafft werde, nicht nur mehr Fachkräfte für die Wirtschaft, sondern auch geringe Beiträge, höhere Renten für alle und weniger Steuermittel, die in die Rentenkasse fließen müssten.
Wer hat Anspruch auf eine Rente ohne Abschläge?
Nur noch mal zu Klarstellung: Die Kritik richtet sich auf eine Regelung im Rentenrecht, die in der heutigen Form seit dem 1. Juli 2014 gilt. Nach dieser haben nur Versicherte einen Anspruch auf eine vorgezogene Altersrente ohne Abschläge ab 63, wenn sie besonders langjährig versichert sind und 45 Jahre Pflichtbeitragszeiten nachweisen können. Das 63. Lebensjahr gilt allerdings nur für Versicherte, die vor dem 1. Januar 1953 geboren sind. Für alle, die nach dem 1. Januar 1953 geboren sind, steigt die Altersgrenze schrittweise an. Ab dem Jahrgang 1964 liegt die Altersgrenze bei 65 Jahren. Nach Daten der Deutschen Rentenversicherung haben 208.599 Versicherte im Jahr 2021 die Regelung genutzt und sind ohne Abschläge in Rente gegangen.
'Rente 63' - kein ungerechtfertigtes Privileg!
In der Tat nutzt bislang rund ein Viertel der jährlichen Rentenzugänge die abschlagsfreie Rente für besonders langjährig Versicherte. Doch Anlass für Katastrophenszenarien und 'Privilegien'-Schelte ist das nicht. Um es klar zu sagen: Wer 45 Jahre in die Rentenversicherung eingezahlt hat, der sollte ohne Abschläge in Rente gehen können. Das ist gerecht – und zwar ab 63 und nicht erst mit 64 oder 65!
Das ist ein Gebot der Leistungsgerechtigkeit. Beschäftigte, die von dieser Regelung profitieren, haben lange genug in die Rentenkasse eingezahlt. Viele sind schon mit 14 Jahren ins Berufsleben eingestiegen. Sie nach 45 Jahren mit Abschlägen zu bestrafen, ist nicht gerechtfertigt. Zudem zeigen Untersuchungen, dass gerade jene, die in gesundheitlich belastenden Berufen arbeiten, eine deutlich geringere Lebenserwartung haben. Dazu zählen eben auch viele Beschäftigte, die früh ins Berufsleben eingestiegen sind. Bei denen heißt es dann: Lange eingezahlt und kürzer Rente bezogen.
Und mehr noch: Eine Studie der Universitäten Bonn, Mannheim und Barcelona zeigt am Beispiel des spanischen Rentenrechts, dass eine Verzögerung des Ausstiegs aus dem Erwerbsleben das Risiko erhöht, zwischen 60 und 69 Jahren zu sterben.
Geringere Beiträge und höhere Renten für alle?
Nun führen INSM und Prognos an, dass die Renten für alle höher und die Beiträge zu Rentenkasse niedriger ausfallen könnten, wenn die 'Rente 63' abgeschafft würde.
Sicher: Die Abschaffung der abschlagsfreien Renten für besonders langjährig Versicherte stellt eine Leistungskürzung (für diejenigen, die sie in Anspruch nehmen können) dar. Geringere Leistungen ermöglichen wiederum niedrigere Beiträge. Und nach Rentenanpassungsformel wirken – vereinfacht ausgedrückt – sinkende Beiträge förderlich, gleichbleibende Beiträge nicht dämpfend und langsamer steigende Beiträge weniger dämpfend auf die Rentenentwicklung.
Und was bringt das alles nach der Prognos-Berechnung? Falls es ab sofort keine 'Rente 63' mehr gäbe, wäre der Beitragssatz 2045 um 0,6 Beitragssatzpunkte niedriger und das Rentenniveau um 0,1 Prozentpunkt höher als beim sogenannten Vergleichsszenario (Szenario, bei dem die aktuelle Entwicklung fortgeführt wird und keine gravierenden Änderungen vorgenommen werden oder auftreten).
Es sei mal dahingestellt, ob sich das Referenzszenario tatsächlich so entwickelt, wie unterstellt. Die letzten Jahre zeigen zumindest, dass Projektionen im Feld der Alterssicherungssicherungspolitik häufig korrigiert werden müssen. Aber angenommen, es wäre so: Für ein Rentenniveau von 42,8 in 2045 statt 42,7 Prozent jene zu bestrafen, die 45 Jahre eingezahlt haben, kann nicht ernsthaft als solidarische Alterssicherungspolitik gelten. Mal abgesehen davon, dass auch ein Rentenniveau von 42,8 Prozent sozialpolitisch völlig inakzeptabel ist.
Mehr Fachkräfte?
Die Gleichung scheint so einfach: Mehr Fachfachkräfte, wenn man die Zugangsbedingungen zur Rente verschärft. Doch Fachkräftesicherung betreibt man nicht mit „Strafzöllen“ (Abschlägen) für jene, die nach Jahrzehnten harter Arbeit nicht mehr können und wollen. Wer 'neue' Fachkräfte will muss ausbilden, Einwanderung erleichtern, die Rahmenbedingungen für Vereinbarkeit verbessern. Und wer 'alte' Fachkräfte halten will, der muss die Arbeitsbedingungen verbessern und die Attraktivität der Jobs erhöhen.
Solidarreform nötig!
Das heißt nicht, dass es keinen Reformbedarf in der Alterssicherung gäbe. Nötig sind aber nicht weitere Kürzungen bei der Rente, sondern eine Solidarreform des Alterssicherungssystems. Wie eine solche Reform aussehen könnte, hat die IG Metall in ihrem Rentenkonzept dargelegt. Ins Zentrum einer solchen Solidarreform gehören der Ausbau der gesetzlichen Rentenversicherung zu einer Erwerbstätigenversicherung, in die alle einzahlen, eine Anhebung des Rentenniveaus und flexible und sozial abgesicherte Übergänge in den Ruhestand vor dem 67 Lebensjahr.