Rentenerhöhung, Kaufkraftverluste und Inflationsschutz
Die Renten steigen zum 1. Juli voraussichtlich im Westen Deutschlands um 4,39 Prozent und im Osten um 5,86 Prozent. Dies geht wesentlich auf die positive Lohnentwicklung zurück. Ein stabiler Arbeitsmarkt und eine gute Einnahmesituation der Rentenversicherung tun ihr Übriges. Das ist die gute Nachricht!
Inflation frisst Erhöhung auf
Doch die schlechte folgt auf dem Fuße: Auch Rentnerinnen und Rentner werden Kaufkraftverluste hinnehmen müssen, wenn sich die Prognosen über die Preisentwicklung bestätigen. So liegt die Inflationsprognose der Bundesregierung bei 6,0 Prozent für 2023. Tatsächlich lag die Inflationsrate in Deutschland im Februar sogar bei 8,7 Prozent und damit unverändert hoch. Dass hohe Inflationsraten ärmere Haushalte besonders stark treffen, darauf haben die Wissenschaftler*innen des Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) der Hans-Böckler-Stiftung mehrfach hingewiesen. „Familien sowie Alleinlebende mit jeweils niedrigen Einkommen hatten im Februar mit je 9,9 Prozent die höchste Inflationsbelastung zu tragen, Alleinlebende mit sehr hohen Einkommen mit 7,4 Prozent die mit Abstand niedrigste.“
Nun gehören glücklicherweise nicht alle Rentenbezieher*innen ins untere Einkommenssegment. Aber in der Rentenphase ist das verfügbare Einkommen geringer als in der Erwerbsphase und der Anteil, der für Heizung, Strom und Nahrungsmittel verausgabt werden muss, höher. Und bei diesen Gütern steigen die Preise besonders stark an.
Inflationsrisiko und Inflationssicherheit in der Alterssicherung
Doch wie umgehen mit hohen Preissteigerungsraten, wenn es um Alterseinkommen geht? Auch wenn das Inflationsrisiko bei kapitalgedeckten Systemen deutlich höher ist, ist auch das Umlagesystem der gesetzlichen Rentenversicherung nicht frei von Problemen bei großen Preissprüngen. Das zeigt gerade die aktuelle Entwicklung. Dem könnte entgegengewirkt werden, indem man die Rentenanpassung nicht mehr grundsätzlich an die Entwicklung der Löhne, sondern an die der Preise koppeln würde. Eine solche Preisindexierung der Renten ist nichts Ungewöhnliches. So folgt etwa in Frankreich, Italien oder Österreich die Rentenanpassung der Preisentwicklung. Sollte Deutschland einen ähnlichen Weg gehen?
Was auf den ersten Blick so überzeugend scheint, ist bei einer genaueren Betrachtung doch nicht so vorteilhaft. Eine Anpassung auf Basis der Preisentwicklung schützt vor Kaufkraftverlusten durch Inflation. Wenn aber die Arbeitseinkommen real steigen, dann werden die Rentnerinnen und Rentner von der allgemeinen Wohlstandsentwicklung abgekoppelt, ihr Lebensstandard sinkt, im Vergleich zur Erwerbsbevölkerung. Schaut man sich etwa die Verbraucherpreise in Deutschland an, so sind diese seit 2010 um rund 25 Prozent in 2022 gestiegen. Die Renten stiegen im gleichen Zeitraum um etwas mehr als 32 Prozent (siehe Abbildung). Die Ursache liegt darin, dass die Lohnentwicklung in der Regel Preisentwicklung und Produktivitätsfortschritt abbildet. In einem lohnbasierten Rentensystem profitieren davon auch die Ruheständler.
Sicher ist das natürlich nicht. Am Ende müssen Gewerkschaften auch die entsprechenden Lohnerhöhungen durchsetzen. Das gelingt nicht immer. Zudem haben wir in Deutschland keine reine Lohnanpassung mehr, sondern weitere Faktoren in der Rentenanpassungsformel können dämpfend auf die Rentenentwicklung wirken.
Echte Lohnanpassung bleibt langfristig der richtige Weg
Auch wenn es für Rentner*innen gegenwärtig günstiger wäre, die Renten gemäß der Verbraucherpreisentwicklung anzupassen, erhalten Ruheständler*innen langfristig höhere Leistungen der Rentenversicherung mit einer Lohnanpassung. Was im Übrigen dazu geführt hat, dass etwa die Bundesbank bereits mehrfach vorgeschlagen hat, die Rentenanpassung nur noch im Umfang der Preisentwicklung steigen zu lassen. Nicht etwa um die Kaufkraft von Rentnerinnen und Rentnern zu erhalten, sondern um die Kosten der Alterssicherung zu senken und die Beitragsentwicklung zu dämpfen.
Zu bedenken ist auch: steigen die Renten nur mit der Inflation hat dies sichtbare Verteilungseffekte. Stiegen die Löhne schneller als die Preise (Reallohnerhöhung), würden die Renten und damit auch die Ausgaben der Rentenversicherung langsamer steigen. In der Folge könnte auch der Beitragssatz zur Rentenversicherung sinken. Die Reallohngewinne der Beschäftigten würden erhöht. Umgekehrt würden bei Reallohnverlusten die Renten relativ stärker steigen und zu einem höheren Beitragssatz für die Beschäftigten führen. Damit würden die Beschäftigten einen noch größeren Reallohnverlust hinnehmen müssen. In die ein oder andere Richtung käme es zwischen Erwerbsbevölkerung und Rentenbeziehern zu verteilungsrelevanten Verschiebungen.
Hinzu kommt, dass eine Lohnanpassung der Renten auch dem grundsätzlichen Ziel einer lebensstandardsichernden Rente entspricht. Löhne und Renten bewegen sich im Gleichklang und die Rentnerinnen und Rentner profitieren in gleichem Maße von der allgemeinen Wohlstandsentwicklung. Das ist auch gerechter!
Damit das gelingt, muss sich aber noch einiges im Rentenrecht ändern. Wir brauchen ein lebensstandardsicherndes Rentenniveau und eine jährliche Rentenanpassung, die sich an der Lohnentwicklung orientiert und nicht durch Dämpfungsfaktoren (Beitragssatzfaktor und Nachhaltigkeitsfaktor) gebremst wird.