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Defizite und steigende Beiträge - Gesundheitssystem in der Krise?

16 – 14 – 17: kein Zahlenspiel, sondern die Reihe der Milliarden-Defizite, die die gesetzlichen Krankenkassen 2021, 2022 und 2023 aufweisen (werden). Summen, deren Ausmaß klarer wird, wenn man sie „umrechnet“.

2021 verzeichnen alle gesetzlichen Krankenkassen zusammen insgesamt 263 Mrd. € für Leistungsausgaben. Darunter fallen u.a. alle Ausgaben für ärztliche Behandlungen, Krankenhausaufenthalte, Reha-Leistungen, Krankengeld, Arzneimittel, Hilfs- und Heilmittel oder zahnärztliche Behandlungen. Alleine für letzteren Punkt gaben die gesetzlichen Krankenkassen (inkl. Zahnersatz) 16,33 Mrd. € aus. Das Defizit von 16 Mrd. im Jahr 2021 betrug also ziemlich genau die Summe der Zahnarztbehandlungen aller gesetzlich Versicherten eines Jahres. Wie kann das sein? Kalkulieren die Kassen so schlecht?

Die naheliegende Erklärung, die Defizite seien Pandemiekosten, trifft nicht zu. Die Pandemie-Mehrausgaben des Gesundheitssystems wurden sachgerecht über Steuermittel finanziert. Die Finanzsituation der gesetzliche Krankenversicherungen (GKV) ist vielmehr eine, in die die Politik die GKV sehenden Auges hineinmanövriert hat. Die Vorgängerregierung mit Jens Spahn als Gesundheitsminister hat viele Gesetze erlassen, die eine immense Ausgabensteigerung für die GKV bedeuten. Darunter auch solche, die zwar viel Geld in die Kassen von Leistungserbringenden (Ärzte, Krankenhäuser etc.) gespült haben, den Versicherten aber keine bessere Versorgung brachten. Darunter fällt z.B. das Terminservice- und Versorgungsgesetz (TSVG), das extrabudgetäre Vergütungen für Ärzte einführte, um einen Anreiz für die Aufnahme neuer Patienten zu setzen. Oder das Digitale-Versorgung-Gesetz (DVG) das es Anbietern von Gesundheits-Apps im ersten Jahr erlaubt, freie Marktpreise für ihre Apps von den Krankenkassen zu verlangen, ohne eine Nutzenbewertung vorlegen zu müssen, wie es bei Arzneimitteln z.B. Pflicht ist.

 

Beitragssatzerhöhung 2023 – erneute Flickschusterei zu Lasten der Beitragszahler*innen

Die Finanzierung der gesetzlichen Krankenversicherung hat sich so schleichend zu einem ungelösten sozialpolitischen Schlüsselproblem entwickelt. Das Problem ist bekannt, dennoch erleben wir seit drei Jahren einen wilden Mix aus ad-hoc Maßnahmen, um die Defizite einzudämmen. Erhöhte Bundeszuschüsse, ein Rückgriff auf die Finanzreserven der Krankenkassen und des Gesundheitsfonds und erhöhte Beitragssätze sind die Hauptstellschrauben, mit denen die aktuellen Defizite im Modus einer „Symptombehandlung“ behandelt wurden. Maßnahmen, die also vor allem (direkt wie indirekt) von den Beitragszahler*innen getragen werden. Geld, das sie aufgewendet haben, ohne einen besseren Versorgungsnutzen davon zu haben. Eben dies droht auch im nächsten Jahr. Der durchschnittliche Zusatzbeitrag wird ab dem 1. Januar 2023 von 1,3 % um 0,3 Prozentpunkte auf 1,6 % steigen. Dass dieser nicht mehr (wie seit Einführung des Zusatzbeitrages bis einschließlich 2018) alleine von Arbeitnehmer*innen getragen wird, ist auch ein Erfolg der IG Metall. Sie hat sich lautstark mit einer breiten Kampagne gegen den Bruch der Parität eingesetzt. Gleichwohl ist die Anhebung für viele Versicherte eine Belastung, gerade in diesen Zeiten.

 

Die Zeit drängt - Mut zur Strukturreform

Eine Strukturreform, die das Gesundheitssystem nachhaltig auf sichere finanzielle Beine stellt und dabei Finanzierungsgerechtigkeit stärkt ist längst überfällig. Die Zeit drängt – die Optionen der letzten Jahre, wie das Abschmelzen der Kassenreserven, sind im nächsten Jahr kaum mehr möglich. Und auch abseits der Defizite stünde der Kranken- wie auch der Pflegeversicherung eine Systemreform gut zu Gesicht. Höhere Beiträge oder Leistungskürzungen dürfen nicht Teil dieser Reform sein.

Karl Lauterbach selbst sagte, dass es unter ihm keine Leistungskürzungen geben wird. Daran wird er sich messen lassen müssen. Weitere Leistungskürzungen sind auf Seite der Versicherten ohnehin nicht hinnehmbar. Die Ausgliederung vieler ehemaliger Kassenleistungen wie Brillen, Arzneimittel für Erkältungen, etc. hat dazu geführt, dass viele Dinge nun privat bezahlt werden müssen. Arbeitnehmer*innen tragen in Folge heute schon den größten Teil ihrer Ausgaben für Gesundheit selbst. Eine „echte Parität“ in der sich Arbeitgeber und Arbeitnehmer hälftig an den Gesundheitskosten beteiligen, ist de facto jetzt schon nicht gegeben.

 

Alle rein ins Solidarsystem - Bürgerversicherung

Eine Bürgerversicherung kann dies leisten. Berechnungen haben gezeigt, dass je nach Ausgestaltung der Bürgerversicherung Mehreinnahmen und Beitragssatzsenkungen für alle Versicherten möglich sind – bei steigendem Leistungsniveau!

Die Forderung nach einer Bürgerversicherung wird von SPD und Grünen geteilt. Die FDP wird dies partout nicht wollen. Als noch sondiert wurde und die Ampel ihr erstes gemeinsames Stück Papier produzierte, das Sondierungspapier, stand dort zur Gesundheitspolitik nicht viel Definitives, außer „die gesetzliche und die private Kranken- und Pflegeversicherung bleiben erhalten.“ Lauterbach selbst sagte auf der PKV-Jahrestagung im Juni dieses Jahres: „Die PKV ist ein Bestandteil der Versorgung, auf den wir nicht verzichten können und nicht verzichten wollen“. Das muss kein Todesstoß für die Bürgerversicherung sein. Bis zu ihrer Umsetzung sind viele Schritte denkbar, von Bürgerversicherungstarifen in der PKV und deren Anbindung an den Gesundheitsfonds, über das Wahlrecht neuer Beamtinnen und Beamten (Hamburger Modell), wie es in einigen Bundesländern bereits praktiziert wird.

Lauterbach hat für Ende Mai 2023 eine große Finanzierungsreform für die GKV angekündigt. Die beiden größeren Partner der Ampel sind gut beraten, für ihre Position zu kämpfen – an ihnen entscheidet sich, ob ein gerecht finanziertes und gut ausgestattetes Gesundheitssystem freie Fahrt erhält.