Entlastungspakete der Bundesregierung
Weiter Druck machen
Bereits seit Mitte 2021 steigen die Preise und Lebenshaltungskosten in Deutschland deutlich. Im September 2022 lag die Inflationsrate im Vergleich zum Vorjahr laut offizieller Schätzung des statistischen Bundesamtes bei 10 %. Die Gründe für den enormen Preisanstieg sind vielfältig und wurden zuletzt durch den völkerrechtswidrigen Angriffskrieg auf die Ukraine nochmal verstärkt. Um es gleich vorwegzunehmen: Die Inflation wird nicht etwa durch Tariferhöhungen und höhere Löhne getrieben, sondern hat andere makroökonomische Ursachen. Unterbrochene Lieferketten – die bereits während der Corona-Krise zum Problem geworden sind – und der sich verschärfende Energie- und Materialmangel sind die Haupttreiber. Was in der Debatte häufig vergessen wird: Inflation ist keinesfalls ein Naturgesetz. Inflation entsteht durch Entscheidungen von Firmen ihre Preise für Güter und Dienstleistungen zu erhöhen. Und zumindest bei Nahrungsmitteln und Benzinpreisen gibt es zahlreiche Indizien dafür, dass die Preisanstiege nicht nur auf höheren Kosten basieren, sondern einige Konzerne die Lage bewusst ausgenutzt haben, um durch überhöhte Preise zusätzliche Profite zu generieren.
Sozialer Sprengstoff
Langanhaltend hohe Inflation birgt enormen sozialen Sprengstoff. Dies gilt insbesondere dann, wenn die Inflation überwiegend Güter und Dienstleistungen betrifft, die zum alltäglichen Leben benötigt werden und nicht einfach ersetzbar sind. Und genau dies ist in der derzeitigen Situation der Fall. Haushalte mit niedrigen Einkommen tragen daher auch die höchste Inflationsbelastung. Während Menschen mit höherem Einkommen hohe Preissteigerungen zumindest mittelfristig durch Mehrausgaben kompensieren können, zwingt Inflation im unteren und mittleren Einkommensbereich schnell zu spürbarem Konsumverzicht. Langfristig drohen Wohlstandsverluste, die bis weit in die arbeitnehmerische Mitte hineinreichen können. Im Niedriglohnsektor und bei Empfängern von Grundsicherung – die ohnehin am Rande der Armutsgrenze leben – sind weitere Einsparungen hingegen kaum noch möglich. Die Folge: Verschuldung und zunehmende Verarmung drohen. Ohne geeignete Gegenmaßnahmen führt Inflation zu einer Zunahme von Armut und gesellschaftlicher Spaltung.
Geplante Entlastungen reichen nicht aus
Seit Februar dieses Jahres hat die Bundesregierung insgesamt drei Maßnahmenpakte beschlossen, die Entlastungen für Haushalte bringen sollen. In ihnen enthalten sind viele steuerliche Begünstigungen, eine Wohngeldreform, einige wenige Direktzahlungen an Arbeitnehmer*innen, Rentner*innen, Bezieher*innen von Sozialleistungen, aber auch die im Sommer breit diskutierten Maßnahmen des Tankrabatts und des 9-Euro-Tickets. Die Maßnahmen umfassen unter anderem:
- Eine Anhebung Arbeitnehmerpauschbetrag auf 1200 €
- Eine Anhebung des Grundfreibetrags der Einkommenssteuer auf 10.347 €
- Eine Erhöhung der Pendlerpauschale
- Eine Energiepreispauschale von 300 € für Erwerbstätige und Rentner und 200 € für Studierende
- Einen Kinderbonus von 100 €
- Eine Einmalzahlung für Sozialleistungsempfänger von 200 €
- Die befristete Einführung des 9-Euro-Tickets
- Den befristeten Tankrabatt
- Einen Heizkostenzuschuss für Wohngeldempfänger
- Die Möglichkeit zusätzlicher steuer- und abgabenfreier Lohnerhöhungen bis zu 3000 €
- Eine Strompreisbremse für den Basisverbrauch
Eine Gaspreisbremse wurde Ende letzter Woche von der Bundesregierung angekündigt. Das ist gut! Diese hatte die IG Metall bereits frühzeitig gefordert. Allerdings sind noch keine Details bekannt, wie auch bei der Strompreisbremse. Beide Instrumente muss die Bundesregierung jetzt zu Beginn der Heizperiode zügig umsetzen, um schnell für spürbare Entlastungen zu Sorgen.
Denn die übrigen in den ersten drei Entlastungspaketen getroffenen Maßnahmen zur Entlastung von Haushalten mit niedrigem und mittleren Einkommen reichen bisher nicht aus. Viele hiervon, wie die steuerlichen Erleichterungen, oder die Ausweitung des Wohngeldes, wirken erst ab 2023 und können in diesem Herbst und Winter daher keine spürbare Entlastung bringen. Die vereinbarten Einmalzahlungen sind bereits jetzt absehbar zu gering, um in der Breite der Bevölkerung einen ausreichenden Effekt zu erzielen. Außerdem sind sie an vielen Stellen zu wenig zielgenau und daher sozial unausgewogen. Besserverdienende profitieren z.B. durch den Abbau der kalten Progression zusätzlich, während die in Aussicht gestellte Erhöhung des Hartz-IV-Regelbedarfs um ca. 50 € nicht ausreicht, um eine bedarfsdeckende Grundsicherung zu schaffen.
Strukturprobleme werden nicht gelöst
Die Entlastungspakete können zusammen mit der Umsetzung einer Gas- und Strompreisbremse punktuell Linderung verschaffen. Sie lindern jedoch nur Symptome und gehen nicht an die strukturellen Probleme, die nun offen zu Tage treten. Einmalzahlungen und Energiepreisbremsen können kurzfristig wirksame Krisenmaßnahmen sein, entlassen die Regierung aber nicht aus der Verantwortung, den Ausbau erneuerbarer Energien voranzutreiben und die Energiemärkte wirksam zu regulieren.
Ein mögliches Nachfolgeticket für das 9-Euro-Ticket kann mehr Anreize schaffen, den ÖPNV zu nutzen und mehr Menschen Mobilität ermöglichen, die aber durch Investitionen in die Verkehrsinfrastruktur flankiert werden muss. Eine Reform des Wohngeldes kann die Mietbelastung für mehr Menschen lindern, schafft aber nicht mehr bezahlbaren Wohnraum und stoppt nicht die Spekulation mit Wohnraum. Hier zeigt sich einmal mehr, dass grundlegende Infrastruktur nicht allein dem Markt überlassen werden kann. Die Politik muss hier in Zukunft stärker regulieren und auch investieren.
Dranbleiben
Die soziale Spannung in dieser gesellschaftlichen Krise wird nicht durch Willenserklärungen und Einmalzahlungen gelöst. Wir haben als IG Metall selbst mit einer Kampagne Druck für spürbare Entlastungen gemacht. Die angekündigte Einführung von Strom- und Gaspreisbremse sind erste Erfolge. Jetzt gilt es, sich in den kommenden Wochen und Monaten für eine schnelle und zielgenau Umsetzung der Maßnahmen einzusetzen und den Druck für weitergehende Strukturreformen aufrecht zu erhalten. Nur so kann die wachsende gesellschaftliche Spaltung in der Krise verhindert werden.