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Leistungskürzungen bei Langzeitarbeitslosen? – ein sozialpolitischer Irrweg!

 

Anfang Juli beschloss das Kabinett den Haushaltsentwurf der Bundesregierung für das Jahr 2023. Kurz darauf berichteten Medien, dass bei der Förderung Langzeitarbeitsloser rund 600 Millionen Euro eingespart werden sollen – ein sozialpolitischer Irrweg.

 

Zunächst einmal zur Klarstellung: Es geht nicht allein um Kürzungen bei Langzeitarbeitslosen, es geht um Kürzungen bei Hartz IV-Beziehenden. Was ist der Unterschied? Als langzeitarbeitslos gelten hierzulande Arbeitslose, die ein Jahr und länger durchgehend arbeitslos sind. Der weitaus größte Teil von ihnen wird im Hartz IV-System betreut. Sie machen jedoch nur einen Teil der heterogenen Gruppe der Hartz IV-Beziehenden aus. So landet derzeit etwa jeder vierte sozialversicherungspflichtig Beschäftigte, der seinen Job verliert, direkt im Hartz IV-System, weil er die Voraussetzungen für den Bezug von Arbeitslosengeld I nicht erfüllt.

Neben Geldleistungen, Beratung und Vermittlung stehen Hartz IV-Beziehenden auch Förderinstrumente der aktiven Arbeitsmarktpolitik zur Verfügung. Für derartige sogenannte ‚Leistungen zur Eingliederung in Arbeit‘ ist im Haushalt der Bundesregierung 2022 eine Summe von 4,9 Mrd. Euro verankert. Aus dieser Summe können Jobcenter z.B. Weiterbildungen oder Lohnkostenzuschüsse für Arbeitgeber zahlen, um den Weg in Beschäftigung zu ebnen. Nun wurde öffentlich, dass für eben diese Eingliederungsleistungen im Entwurf für den Haushalt 2023 lediglich 4,3 Mrd. Euro vorgesehen sind – eine Absenkung gegenüber 2022 um sage und schreibe 600 Mio. Euro. Begründet wird dies damit, dass die nun verankerten 4,3 Mrd. Euro den real abgerufenen Mitteln aus dem Jahr 2019 (also dem Vor-Corona-Jahr) entsprechen.

Abgesehen davon, dass es ein verheerendes Signal ist, in der aktuellen angespannten Lage ausgerechnet bei den sozial Schwächeren den Rotstift anzusetzen, ist der Verweis auf 2019 bestenfalls ein formal anzubringender Vergleichswert. Bei Lichte betrachtet ist er weder geeignet, die Herausforderungen bei (Langzeit-)Arbeitslosen, die der Arbeitsmarktintegration ukrainischer Geflüchteter, noch die angekündigte Reform des Hartz IV-Systems zu bewältigen:

 

Der Blick zurück trägt nicht

Die Gruppe der Hartz IV-Beziehenden ist überaus heterogen und es ist nicht leicht diese ins Verhältnis zu setzen. Nimmt man als zwei Beispiele die Gruppe der erwerbsfähigen Leistungsberechtigten und der Langzeitarbeitslosen heraus, sind die Zahlen im Vergleich zu 2019 deutlich gestiegen. So gab es laut Statistik der Bundesagentur für Arbeit im Jahr 2021 durchschnittlich 3,9 Mio. erwerbsfähige Leistungsberechtigte und damit etwa 100.000 mehr als im Jahresdurchschnitt 2019. Ein ähnliches Bild ergibt sich bei den Langzeitarbeitslosen. Im Jahresdurchschnitt 2019 waren rund 727.000 Menschen langzeitarbeitslos, davon befanden sich etwa 648.000 im Hartz IV-System. 2021 lag der Jahresdurchschnitt dagegen bei 1,03 Millionen Langzeitarbeitslosen. Davon wurden rund 888.000 (86 Prozent) im Hartz IV-System betreut. Der Anstieg geht vor allem darauf zurück, dass es für Arbeitslose allgemein und für Langzeitarbeitslose insbesondere schwer war in der Pandemie eine Beschäftigung zu finden.

Es ist zweifellos nicht auszuschließen, dass sich an die Zahlen bis 2023 ändern. Aber ist es wahrscheinlich, dass es angesichts der allgemeinen schwierigen Lage sowie der Tatsache, dass es sich um einen Personenkreis handelt, dessen Integration in den Arbeitsmarkt häufig mit größeren Herausforderungen verbunden ist, zu erheblichen Reduzierungen kommt? Vor dem Hintergrund der sich rasant wandelnden Arbeitswelt ist es zudem wichtig, gerade diesen Gruppen durch gute Weiterbildungsangebote die Chance auf nachhaltige Beschäftigung zu ermöglichen. Vor der Corona-Pandemie begann das Thema Qualifizierung und Weiterbildung auch deshalb einen wichtigeren Stellenwert einzunehmen. Der Stellenwert von Qualifizierung muss daher weiter gestärkt werden. Ob dies mit den geplanten Kürzungen noch möglich ist, ist zweifelhaft.

Hinzu kommt, dass bei einem Vergleich zu 2019 Geflüchtete aus der Ukraine unberücksichtigt bleiben. Es lassen sich weiterhin keine definitiven Aussagen zur Zahl der Geflüchteten machen. Laut Ausländerzentralregister waren bis Anfang Juli 2022 etwa 876.000 Ukrainer*innen seit Kriegsbeginn (24.02.2022) eingereist. Seit Juni 2022 werden ukrainische Geflüchtete in den Jobcentern betreut und erhalten Leistungen nach dem SGB II bzw. SGB XII. Ende Juni 2022 waren 353.400 ukrainische Geflüchtete bei den Jobcentern (gemeinsamen Einrichtungen) registriert, 265.000 davon im erwerbsfähigen Alter. Inwieweit Geflüchteten aus der Ukraine längerfristig in Deutschland bleiben und hier beruflich Fuß fassen (wollen), ist schwer zu sagen und hängt zweifellos davon ab, wie sich die Lage in der Ukraine weiterentwickelt. Unabhängig von der konkreten Anzahl ist jedoch klar, dass hier ein zusätzlicher Förderbedarf, z.B. für Sprachkurse oder berufliche Qualifikationen entsteht, der 2019 noch nicht absehbar war.

 

Der Blick nach vorn spricht auch eine andere Sprache

Doch nicht nur der aktuelle Vergleich, auch der Blick nach vorne muss zu mehr Mitteln und nicht Einsparungen führen, wenn die Ampelkoalition ihre Pläne zur Reform des SGB II ernst meint. Das geplante Bürgergeld wird auch im Bereich der aktiven Arbeitsmarktpolitik mehr Geld kosten, wenn es nicht nur eine Umetikettierung von Hartz IV sein soll. Denn hier sieht der Koalitionsvertrag auch eine Stärkung der Weiterbildung vor. So soll der Vermittlungsvorrang abgeschafft und die finanziellen Anreize für Weiterbildung gestärkt werden: „Der Vermittlungsvorrang im SGB II wird abgeschafft. Die Förderung der Weiterbildung und Qualifizierung werden wir stärken. […] Bürgergeldberechtigten kann im Rahmen der Teilhabevereinbarung für die Teilnahme an der Eingliederung dienenden Förder- oder Unterstützungsmaßnahmen ein befristeter Bonus gezahlt werden.“ Auch der soziale Arbeitsmarkt soll durch Änderungen im Teilhabechancengesetz weiterentwickelt werden, „begleitendes Coaching und aufsuchende Sozialarbeit werden Regelinstrumente in SGB II und SGB XII“.

Mit der geplanten Kürzung stehen diese guten Ansätze unter keinem guten Stern. Es ist möglich, dass die Absichtserklärungen des Koalitionsvertrages schlicht nicht umgesetzt werden, weil kein Geld da ist. Oder aber sie werden als Ermessensleistungen umgesetzt, und drohen dann auf der Strecke zu bleiben, weil die Jobcenter nur darauf zurückgreifen können, wenn die Kassenlage es zulässt.

 

Ist das alles...?

Jetzt schon ist absehbar, dass angesichts der Herausforderungen mehr statt weniger Mittel für den Hartz IV-Bereich nötig sind. Doch was passiert mittel- und langfristig? Der Haushaltsentwurf 2023 gibt einen Vorgeschmack darauf, was zu erwarten ist, wenn die Schuldenbremse künftig wieder eingehalten werden soll. Jahr für Jahr wird die Ampel unter dem Diktat der Schuldenbremse sparen müssen. Spätestens hier wird klar, dass die Schuldenbremse droht, langfristig zur Bremse für Sozialpolitik zu werden. Es mutet daher mehr als zynisch an, wenn das Bundesfinanzministerium nach der Einigung auf den Haushaltsentwurf 2023 vermeldet: „Der soziale Zusammenhalt wird weiter gestärkt“

Vielmehr nimmt sich die Regierung durch die Schuldenbremse selbst die Möglichkeit, die sozialpolitischen Herausforderungen der nächsten Zeit zu bewältigen. Das sind alles andere als gute Aussichten für den sozialen Zusammenhalt.