Bürgergeld
Ein Abschied von Hartz IV ist nicht zum Nulltarif zu haben!
Die Bundesregierung will das bisherige Hartz IV-System durch ein neues Bürgergeld ersetzen. Ein Gesetzentwurf soll demnächst kommen. Inwiefern das geplante Bürgergeld tatsächlich den Abschied vom Hartz IV-System bedeutet, ist offen. Es braucht eine grundlegende Reform und diese gibt es nicht zum Nulltarif.
„Wir lösen die Grundsicherung durch ein neues Bürgergeld ab, damit die Würde des Einzelnen geachtet und die gesellschaftliche Teilhabe besser gefördert wird“, dies verspricht die Ampel in ihrem Koalitionsvertrag. Das klingt gut. Denn das bisherige Hartz IV-System bedarf dringend einer grundlegenden Reform: Hartz IV basiert auf einem problematischen Menschenbild, der Regelsatz ist zu gering, die Bedürftigkeitsprüfung hart, das Sanktionsregime führt zu Unterschreitungen des Existenzminimums und fördert im Zusammenspiel mit Vermittlungsvorrang und Zumutbarkeitskriterien prekäre Arbeit. Der Journalist Heribert Prantl bezeichnete Hartz IV daher einst als „schikanöses Gesetz, das die Behörden zu Verwaltungsexzessen zwingt und die Lebensleistung auch der Menschen missachtet, die einen Großteil ihres Lebens gearbeitet haben und dann von Arbeitslosigkeit erwischt wurden.“
In den Zeiten der Corona-Pandemie wurden einige der größten Härten bereits abgemildert – etwa durch eine veränderte Vermögensprüfung oder das Sanktionsmoratorium. Jetzt gilt es eine Reform auf den Weg zu bringen, die Hartz IV auf Dauer überwindet.
Was plant die Ampel?
Laut Koalitionsvertrag soll in den ersten beiden Jahren des Leistungsbezugs das Vermögen nicht angerechnet und die Angemessenheit der Wohnung anerkannt werden. Auch soll das Schonvermögen angehoben und dessen Prüfung vereinfacht werden. Außerdem soll die Beratung künftig „auf Augenhöhe“ stattfinden, von einer Teilhabevereinbarung ist die Rede; Weiterbildung und Qualifizierung sollen gestärkt, der Vermittlungsvorrang abgeschafft und die Sanktionen wie auch die Zuverdienstmöglichkeiten neu geregelt werden.
Damit ist in Aussicht gestellt, dass sowohl das Machtungleichgewicht zwischen Betroffenen und Behörde, das Erleben von Überprüfungen als Gängelung sowie die Sorge, Ersparnisse aufbrauchen zu müssen und letztlich insgesamt die Angst vor sozialem Abstieg und Stigmatisierung deutlich abgemildert werden. Werden diese Vorhaben umgesetzt, würde dies in der Tat substanzielle Verbesserungen bedeuten. Das gilt insbesondere für diejenigen Beschäftigten, die bei Jobverlust aufgrund fehlender oder geringer Arbeitslosengeldansprüche derzeit direkt im Hartz IV-System landen. Letztlich bleibt hier aber die konkrete Ausgestaltung der Vorhaben abzuwarten.
Regelsatz rauf!
Zudem schweigt die Ampel bisher zu zentralen Elementen des Hartz IV-Systems. Empfindlichste Leerstelle: Zur Höhe des Bürgergeldes wird nichts gesagt. Dabei ist es unumgänglich die Regel-sätze neu zu ermitteln und zu erhöhen.
Nach wie vor wird der Regelsatz systematisch kleingerechnet, vor allem die Berechnungsgrundlage ist kritisch und diverse Ausgaben werden nicht als Bestandteile des Existenzminimums anerkannt. Im Zuge der aktuellen Preisexplosionen, insbesondere bei Lebensmitteln und Energie, verschärft sich die dadurch ohnehin prekäre Lage Hartz IV-Beziehender zudem erheblich. Die jüngst Einmalzahlung von 200 Euro reicht in keinster Weise die Lücke zu schließen, wie die Verteilungsforscherin Irene Becker zeigt.
Eine Reform der Berechnungsmethode ist mehr als überfällig. Gewerkschaften und Sozialverbände schlagen hierfür seit längerem die Einrichtung einer Sachverständigenkommission vor. Die Erarbeitung eines neuen Verfahrens zur Regelsatzermittlung braucht allerdings Zeit. Daher ist für die Übergangszeit und insbesondere kurzfristig als Reaktion auf die aktuellen Preissteigerungen ein monatlicher Zuschlag zum Regelsatz unabdingbar.
Sanktions- und Zumutbarkeitsregime überwinden!
Das Bundesverfassungsgericht hat 2019 einen klaren Auftrag an den Gesetzgeber erteilt: Er muss die Sanktionspraxis neu und nachvollziehbar regeln. Als Reaktion wurden in den vergangenen Jahren große Teile der Sanktionen ausgesetzt und mittlerweile hat die Koalition auch ein befristetes Sanktionsmoratorium beschlossen. Jetzt gilt es die Sanktionen längerfristig neu zu regeln.
Sanktionen dürfen vor allem nicht zu einer Unterschreitung des Existenzminimums führen. Die Vorstellung, Menschen durch Sanktionen in Arbeit zu bringen, geht an der Wirklichkeit vorbei. Sanktionen fördern nicht die Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt, sondern führen im Gegenteil dazu, dass die Betroffenen das Vertrauen in die Jobcenter und den Sozialstaat verlieren und sich im schlechtesten Fall komplett zurückziehen. Statt auf Sanktionen sollte stärker auf Angebote und Beratung gesetzt werden.
Die ganze Tragweite der Herausforderung wird aber erst deutlich, wenn man die Wechselwirkung von Sanktionen und Zumutbarkeitskriterien betrachtet: Derzeit gilt für Hartz IV-Beziehende jede Arbeit als zumutbar (es sei denn, sie ist sittenwidrig) und die Sanktionen entfalten den entsprechenden Druck diese auch anzunehmen. Vorhandene Qualifikationen werden auf diese Weise entwertet, prekärer Beschäftigung Vorschub geleistet und sozialer Abstieg befördert. Soll dieses Druck- und Drohregime nachhaltig überwunden werden, muss auch die Zumutbarkeit reformiert werden. Künftig sollten nur Tätigkeiten zumutbar sein, die sozialversicherungspflichtig sind und tariflich oder mindestens ortsüblich entlohnt werden. Außerdem sollte ein temporärer Qualifikationsschutz eingeführt werden. Dies könnte erreicht werden, indem Stellenangebote unterhalb des erworbenen Qualifikationsniveaus sowie Leiharbeitsverhältnisse für eine bestimmte Zeit nicht als verpflichtend gelten, ihre Annahme höchstens freiwillig wäre.
Das wäre nicht zuletzt auch angesichts des derzeit viel diskutierten Fachkräftebedarfs angebracht. Doch die Koalition lässt die Zumutbarkeit bisher unangetastet und droht damit zu verpassen, das Problem wirklich an der Wurzel zu packen.
Finanzierung sicherstellen!
Insgesamt formuliert die Koalition im Rahmen ihres Bürgergeldes auf der einen Seite eine Reihe von Vorhaben, die klare Verbesserungen für die Betroffenen versprechen, auf der anderen Seite lässt sie elementare Punkte bisher unangetastet.
Und über allem schwebt die Finanzierungsfrage. Dabei ist klar: Eine Überwindung von Hartz IV ist nicht zum Nulltarif zu haben. Das gilt insbesondere angesichts der dringend nötigen Anhebung des Regelsatzes. Aber auch die geplante Stärkung der Qualifizierung wie auch die Weiterentwicklung des sozialen Arbeitsmarktes kosten Geld. Die jüngste Ankündigung im Zuge der Haushaltsplanung zur Erreichung des Ziels der Schuldenbremse u.a. den Rotstift bei den Leistungen für Langzeitarbeitslose anzusetzen, ist daher ein alarmierendes Signal. Wird hier nicht gegengesteuert, drohen gute Vorhaben und eine Überwindung von Hartz IV letztlich an der Kassenlage zu scheitern.
Daneben bleibt es das vorgelagerte Ziel zu vermeiden, dass Menschen überhaupt auf eine wie auch immer gestaltete Grundsicherung angewiesen sind. Gute Arbeit und gute Löhne zu stärken, wirksam gegen Lohndumping vorzugehen und die Tarifbindung sowie den Schutz der Arbeitslosenversicherung auszubauen, sind hierfür zentral.
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