Entlastungspaket 2022
Entlastung für wen?
Die Energiekosten schießen in die Höhe. Dies stellt nicht nur ärmere Haushalte vor Probleme. Die Bundesregierung will mit einem Maßnahmenpaket für Entlastung sorgen. Dieses Entlastungspaket entlastet aber vor allem sie selbst.
Die Maßnahmen, die die Regierung vorsieht sind im Einzelnen:
- Tankrabatte
- Befristet vergünstigter ÖPNV
- Heizkostenzuschüsse für Wohngeldbezieher
- Einmaliger Kinderbonus von 100 Euro
- Einmalige Energiepauschale von 300 Euro für einkommensteuerpflichtige Erwerbstätige, Selbständige und Gewerbetreibende
- Einmalig 100 Euro mehr für Hartz-IV-Beziehende
Unterschiedliche Betroffenheit
Die Erkenntnis, dass Gleichheit nicht gleich Gerechtigkeit ist, erfordert kein Studium der Philosophie:
Wenn man zwei Menschen 100 Euro gibt, der eine jedoch schon 10.000 im Portemonnaie hat, der andere wiederum nichts, grenzt es an Hohn und Frechheit, sich mit gerechter, weil gleicher Verteilung zu brüsten. Nach einem ähnlichen Prinzip funktioniert jedoch das von der Bundesregierung vorgeschlagene Entlastungspaket.
Das gilt insbesondere für die einmalige Energiepauschale von 300 Euro – denn: Ärmere Haushalte geben relativ einen höheren Anteil ihres Geldes für Heizkosten aus. Eine 60 qm Wohnung zu heizen kostet gleich viel – egal ob das Einkommen bei 1500 oder 4000 Euro liegt. Daher kann die Ausgestaltung des Zuschusses zu steigenden Energiekosten als Pauschale nur verwundern.
Zweifelsohne bleibt bei Einkommensstarken von der Energiepauschale durch die unterschiedliche Besteuerung absolut weniger von der Energiepauschale auf dem Konto. Was zählt ist jedoch, wie hoch die Entlastung ist, wenn diese in Bezug auf das verfügbare Einkommen betrachtet wird. Das DIW hat dies durchgerechnet und kommt zu dem Schluss, dass reichere Haushalte um ein Vielfaches mehr vom Entlastungspaket profitieren, während die zunehmenden Belastungen bei ärmeren Haushalten vom Entlastungspaket kaum aufgefangen werden.
Auch der Energiezuschuss von 100 Euro für Hartz-IV-Beziehende ist problembehaftet. Zwar kommt bei Hartz-IV-Bezug das Jobcenter für die Kosten der Heizung auf, dies aber nur bis zu definierten Angemessenheitsgrenzen. Alles was darüber geht, muss von den Hartz-IV-Beziehenden selbst bezahlt werden. Dass dies bei steigenden Preisen zu einer „Energiearmut in einem bisher nicht bekannten Ausmaß“ führen wird, hat die Landesarbeitsgemeinschaft NRW der Jobcenter sogar in einem Brief an Bundearbeitsminister Hubertus Heil zum Ausdruck gebracht.
Vor allem die 300 Euro Energiepauschale und der (nach dem ersten, Anfang 2022 angekündigten Zuschuss in Höhe von 100 Euro auf nun insgesamt 200 Euro angestiegene) einmalige Energiezuschuss für Hartz-IV-Beziehende zeigen, dass das Entlastungspaket kaum Entlastung dort bringen wird, wo sie am dringendsten benötigt wird.
In der Sozialwissenschaft gibt es den Fachbegriff der Stratifizierung. Er beschreibt das Ausmaß bestehender Statusunterschiede in einer Gesellschaft. Stratifizierung ist ein wichtiger Indikator dafür, ob und wie die Sozialpolitik eines Staates aktiv eine gerechte Verteilung von Geld, Gütern und Chancen schaffen kann. Läge man diesen Indikator an, das Entlastungspaket würde wohl die Bescheinigung bekommen, Statusunterschiede festzuziehen. Das bedeutet: Geld wird zwar verteilt, jedoch nicht umverteilt. Reiche profitieren ebenso wie Arme.
Fortgesetzte Vernachlässigung
In diesem Sinne fügt sich das Entlastungspaket in eine problematische Tradition. Es fügt sich ein in eine Reihe von Maßnahmen der letzten zwei Jahre, die zwar Problembewusstsein signalisieren sollten, gleichzeitig jedoch soziale Schieflagen verfestigten. Der (vorangegangenen) Bundesregierung vorzuwerfen nichts getan zu haben, um soziale Härten abzufedern wäre zu einfach und auch falsch. Dass die in den letzten zwei Jahren ergriffenen Maßnahmen jedoch eine deutliche soziale Schieflage aufweisen, ist eine wichtige und richtige Kritik. In der Coronapandemie wurden Milliardensummen zum Auffangen großer Unternehmen (teils ohne Konditionen wie z.B. Zusagen zur Beschäftigungssicherung) mobilisiert, während z.B. Hartz-IV-Beziehende lediglich minimale Beträge bekamen um die Mehrkosten der Pandemie auszugleichen und Beschäftige in der Pflege, die weit über ihre Belastungsgrenzen gearbeitet und so die Gesundheitsversorgung aufrecht erhalten haben, mit Prämien „belohnt“ wurden, die nicht wenige als Beleidigung empfinden dürften.
Eine Frage des Wollens
Während die Regierung gigantische 100 Milliarden Euro zur Aufrüstung aus dem Nichts im Grundgesetz fixieren will, stieg der Hartz-IV-Regelsatz Anfang 2022 um gerade einmal 3 Euro auf 449 Euro. Dies entspricht einer Steigerung von 0,76 % und kommt nicht mal in die Nähe eines Inflationsausgleichs.
Die 100 Milliarden zeigen vor allem eins: Geld verfügbar zu machen ist möglich. Auch Schulden sind kein Problem (was progressive Ökonomen schon lange sagen). Es ist keine Frage des Habens, sondern allein des Wollens.
Die Ampelregierung will mehr Fortschritt wagen. Dieser Fortschritt sollte sich auch auf die Sozialpolitik beziehen. Das müssen die sozialpolitisch progressiveren Kräfte dieser Regierung vorantreiben. Wer sich in einem Koalitionsvertrag dazu bekennt „dem Wohle aller Bürgerinnen und Bürger zu dienen“ und „Vertrauen in unsere Demokratie zu stärken“ muss dafür sorgen, dass diese Demokratie soziale Sicherheit für alle bereitstellen kann und existenzielle Sorgen nicht weiter verschärft. Sonst bleiben die geplanten Maßnahmen vor allem eins: ein Tropfen auf den heißen Stein für Betroffene. Symbolpolitik und damit Entlastung vor allem für die Regierung.