Erwerbsminderungsrente für alle verbessern – und zwar schnellstmöglich!
Beschäftigte, die aufgrund körperlicher oder psychischer Einschränkungen nicht mehr in der Lage sind, mehrere Stunden am Tag irgendeine Tätigkeit am allgemeinen Arbeitsmarkt auszuüben, erhalten eine volle oder teilweise Erwerbsminderungsrente. Das klingt gut und ist es eigentlich auch. Die Tücken liegen, wie so oft, im Detail.
Viele Beschäftige von Erwerbsminderung betroffen
Zunächst ist beachtlich, dass zuletzt fast zwanzig Prozent der Rentenzugänge Erwerbsminderungsrenten waren. Erwerbsminderung ist also keinesfalls das Problem bedauerlicher Einzelfälle. Insbesondere dort, wo Arbeit körperlich anstrengend, psychisch belastend und typischerweise auch schlecht bezahlt wird, ist Erwerbsminderung ein verbreitetes Phänomen. Dieser Befund ist umso bemerkenswerter, als vielen Beschäftigten trotz erheblicher gesundheitlicher Einschränkungen der Weg in die Erwerbsminderung versperrt wird. Denn selbst in Fällen, bei denen offensichtlich keine erfolgreiche Vermittlung in vorhandene Arbeitsstellen möglich erscheint, werden Menschen darauf verwiesen, dass sie ja theoretisch durchaus in der Lage wären, vermeintlich „leichte“ Aufgaben zu erfüllen. „Packen und sortieren oder Pförtner Nebenpforte mit Wechsel von Stehen, Sitzen und Gehen“ ist ein Standard-Textbaustein aus vielen Gerichtsurteilen, mit denen die Nichtgewährung einer Erwerbsminderungsrente bestätigt wird.
Erwerbsminderungsrenten sind zu niedrig
Aber auch Beschäftigte, denen eine Erwerbsminderungsrente gewährt wird, stehen häufig vor handfesten Problemen. Denn die Rentenzahlbeträge decken oftmals nicht das Notwendige ab. Tatsache ist, dass Menschen hierzulande im Durchschnitt 1.240,- EUR monatlich für ihren Lebensbedarf und Konsum ausgeben. Vergleicht man diese Ausgaben mit den verbesserten Erwerbsminderungsrenten in Höhe von 947,- EUR, die im Jahr 2020 für Frauen aus Ostdeutschland durchschnittlich gezahlt wurden, ergibt sich noch immer eine gravierende Lücke. Und während viele Menschen bei ihrer Altersrente zusätzlich von Betriebsrenten und Sparbemühungen aus der Erwerbszeit profitieren, wird das Risiko der Erwerbsminderung von kaum einer Betriebsrente abgedeckt – und für größeres Ansparen fehlt den Betroffenen die Zeit.
„Zurechnungszeiten“ für Neurentner*innen verbessert
Ein wichtiger Bestandteil bei der Berechnung von Erwerbsminderungsrenten ist die Zurechnungszeit. Damit ist gemeint, dass zur Berechnung der Rente zum Zeitpunkt der Erwerbsminderung die bis dahin erreichte Anzahl an Rentenpunkten hochgerechnet wird auf ein gesetzlich für die Zurechnungszeit festgelegtes Alter. Heraus kommt ein Ergebnis, das sich ergeben hätte, wenn die Person bis zu diesem Alter für den zuvor erworbenen persönlichen Durchschnittslohn hätte arbeiten können. Hier hat die Politik bereits vor einiger Zeit Verbesserungen umgesetzt: Die Zurechnungszeit wurde bis Juni 2014 lediglich bis zum Alter 60 berechnet. Zwischen Juli 2014 und 2019 wurden mehrere Verbesserungen umgesetzt, so dass ab 2019 beginnend für die Zurechnungszeit ein Alter von 65 Jahren und acht Monaten gilt, das jährlich schrittweise auf 67 Jahre angehoben wird.
Bestandsrentner*innen sind ausgenommen
Die Anhebung der Zurechnungszeiten gilt allerdings nur für neue Erwerbsminderungsfälle. Wer vor der Erhöhung der jeweiligen Zurechnungszeiten eine Erwerbsminderungsrente gewährt bekam – sogenannte Bestandsrentner*innen – profitierte nicht.
Diese Unterscheidung der Rentner*innen nach Renteneintritt ist hochproblematisch. Es ist daher zu begrüßen, dass sich die Ampelkoalition in ihrem Koalitionsvertrag verständigt hat, Verbesserungen für die rund 2,9 Millionen betroffenen Bestandsrentner*nnen in der Erwerbsminderungsrente umzusetzen. Nun scheint jedoch die Bundesregierung entschlossen zu sein, die versprochenen Verbesserungen auf die lange Bank zu schieben und erst Mitte 2024 wirken zu lassen. Ein solcher Aufschub wäre ein weiterer Schlag für die Menschen, bei denen jeder Euro wichtig ist.
Die IG Metall hat gemeinsam mit DGB und Sozialverbänden einen Aufruf an die Politik gerichtet, die Verbesserungen der letzten Jahre endlich und schnellstmöglich für alle Erwerbsgeminderte in gleicher Weise umzusetzen. (IG Metall fordert Gleichstellung).
Abschläge bei Erwerbsminderungsrenten abschaffen!
Das wäre ein wichtiger Schritt. Will man den gordischen Knoten bei der Erwerbsminderungsrente durchschlagen und wirklich die Gefahr von Altersarmut eindämmen, müssen aber auch die Abschläge bei der Erwerbsminderungsrente werden. Die Erwerbsminderungsrente gibt es nämlich, ähnlich wie die gesetzliche Altersrente für langjährig Versicherte, erst ab einem bestimmten Alter ohne Abschläge. Dieses Alter wird derzeit schrittweise von 63 Jahren auf 65 Jahre bis 2024 angehoben. Wer in jüngeren Jahren erwerbsgemindert ist, muss Abschläge hinnehmen. Sie betragen pro Monat der „vorzeitigen Erwerbsminderung“ 0,3 Prozent und maximal 10,8 Prozent. Die Abschläge sind im Recht der Erwerbsminderung aber völlig fehl am Platz. Denn die Erwerbsminderungsrente ist kein freiwilliger Entschluss. Im Gegenteil: es ist gerade Voraussetzung für den Anspruch auf Erwerbsminderung, dass die Menschen keinesfalls mehr arbeiten können, selbst wenn sie noch so gerne wollten. Die Abschläge sind daher vor allem eins: eine inakzeptable Rentenkürzung, die endlich abgeschafft gehört.