Höher, schneller, weiter!
Zur Diskussion um ein höheres Renteneintrittsalter
Stefan Wolf ist Präsident des Arbeitgeberverbands Gesamtmetall und Ehrlichkeit ist ihm wichtig. Im Interview mit der Berliner Morgenpost vom 17.8. wird er gefragt, ob wir ein späteres Renteneintrittsalter brauchen. Seine Antwort (ja, wir müssten über 69 bis 70 Jahre reden) leitet er ein mit: „Wir müssen zu den Menschen ehrlich sein: Wir werden das Renteneintrittsalter nicht bei 67 Jahren halten können“.
Wie recht er hat – und dafür muss man nicht mal die Zukunftsform bemühen! Denn schon jetzt ist das Renteneintrittsalter, das erst schrittweise auf 67 angehoben wird, für viele Beschäftigte nicht haltbar, weil sie schlichtweg nicht länger arbeiten können. Jahrzehntelange körperlich belastende Arbeit macht es für viele sogar schwer, bis zum früheren Renteneintrittsalter von 65 zu arbeiten. Doch wie kann das sein, wenn vielerorts verlautet wird, dass wir doch alle länger leben und so auch länger arbeiten können?
Problematische Durchschnitte
Die durchschnittlich steigende Lebenserwartung wird häufig als objektiv hinzunehmende Tatsache proklamiert, die ein höheres Renteneintrittsalter sachlich und neutral rechtfertigen soll. Doch so einfach ist es nicht, denn der Durchschnitt sagt über den Einzelnen erstmal gar nichts aus. Martin Brussig und Eva Schulz haben die heilvolle Botschaft des längeren Lebens genauer analysiert. Sie stellen fest, dass es erhebliche Unterschiede bezüglich der Lebenserwartung gibt, abhängig von Einkommen, Bildungsniveau und Arbeitsbelastung. So steigt mit Einkommen und Bildungsniveau die Lebenserwartung, während sie mit steigender Arbeitsbelastung sinkt. Wessen Erwerbsleben von starker körperlicher Anstrengung geprägt war, der stirbt früher – und soll dennoch in Zukunft länger arbeiten?
Rentenkürzung durch die Hintertür
Stefan Wolf ist mit seinem Anstoß, über ein Renteneintrittsalter von 70 Jahren nachzudenken nicht alleine. Das „höher, schneller, weiter!“ dieser Debatte wird von diversen „Experten“ immer wieder neu entfacht. Der Arbeitgeberseite kommt dies zupass. Die Frage nach der Finanzierung des Sozialstaats wird von ihr ohnehin als reine Kostenfaktordebatte geführt. Die Gesundheit der Beschäftigten ist ein Posten, der hier jedoch nie eingepreist wird, schließlich wird dieser nur von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern gezahlt. Denn was passiert, wenn Kolleginnen und Kollegen nicht länger arbeiten können? Sie gehen vorzeitig in Rente, mit horrenden Abschlägen, die sie über ihren gesamten Rentenbezug hinnehmen müssen. Eine Erhöhung des Renteneintrittsalters ist deshalb nicht mehr und nicht weniger als eine Rentenkürzung durch die Hintertür.
Verantwortungslose Forderung
Für die IG Metall war daher bereits die Erhöhung des Renteneintrittsalters von 65 auf 67 eine der größten sozialpolitischen Fehlentscheidungen der letzten Jahre.
Die Forderung einer weiteren Erhöhung ist unsozial und geht an den Bedarfen von Beschäftigten vorbei. Sie passt jedoch zu denen, die den Sozialstaat nicht als emanzipatorisches Solidarelement begreifen, der ein teilhabeorientiertes Leben in jedem Alter und jeder Lebenssituation ermöglichen soll, sondern als konsolidierungsbedürftiges Wettbewerbshemmnis. Diese Zuschreibung ist ohnehin gefährlich, weil sie dazu dient, Umverteilung zu delegitimieren und Arbeitgeber aus ihrer Verantwortung zu lassen. Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern nützt dies nichts. Was sie brauchen sind gesicherte Altersübergänge, verbesserte Regelungen zur Altersteilzeit und real erreichbare Regelaltersgrenzen. Finanzierbar ist das alles, mit einer solidarischen Erwerbstätigensicherung, in die alle einzahlen. Was sie hingegen nicht brauchen sind verantwortungslose Forderungen, für die sie mit ihrer Gesundheit bezahlen.