Altersvorsorge: Der Grüne Bürgerfonds setzt auf die Aktienmärkte
Aktien sind keine sichere Bank für die Einkünfte im Alter
- Gerd Altmann - Pixabay
Die Grünen haben Mitte März den Entwurf ihres Wahlprogramms zur Bundestagswahl 2021 vorgelegt. Darin bekennen sie sich zur langfristigen Stabilisierung des Rentenniveaus bei der derzeitigen Höhe. Reicht die aktuelle Finanzierungsbasis nicht, sollen die Steuerzuschüsse erhöht werden. Die Grünen wollen außerdem die gesetzliche Rentenversicherung durch Aufnahme von nicht abgesicherten Selbständigen und Abgeordneten stärken. Beides geht klar in die richtige Richtung.
Riesterrente abwracken
Richtig ist auch, dass die Grünen die längst gescheiterte Riesterrente abwracken wollen. Sie wurde einst geschaffen, damit alle Beschäftigen durch Riester-Verträge die Lücke füllen, die durch die gleichzeitige Absenkung des gesetzlichen Rentenniveaus verursacht wurde. Die Riesterrente konnte keines ihrer Versprechen einhalten: die Beschäftigten haben in ihrer großen Mehrheit nie „geriestert“ und Millionen bestehender Riester-Verträge sind ruhend gestellt. Die Verträge sollten kostengünstig sein und stabile, sichere sowie erkleckliche Renditen erzielen, stattdessen sind die Abschluss- und Verwaltungskosten hoch und die Renditen mickrig. Lediglich die Erwartungen der Versicherungswirtschaft auf Milliardengewinne erfüllten sich auf Kosten von Versicherten und Steuerzahler*innen.
Wenn aber Riester in jeder Hinsicht „gefloppt“ ist und sich damit der von der Politik erdachte Ersatz für Einschnitte in die gesetzliche Rente erledigt hat, müssten eigentlich diese Einschnitte revidiert werden, um der Bevölkerung wieder eine hinreichende Altersversorgung zu gewährleisten. Diesen Weg wollen die Grünen jedoch nicht gehen, schlimmer noch: ein Bürgerfonds soll laut Programm-Entwurf anstelle von Riester treten und im Konzept der Grünen die demographischen Herausforderungen in der Alterssicherung meistern. Statt wie bisher freiwillig zu „riestern“, sollen die Bürger*innen verpflichtet werden, einen Teil ihres Einkommens in einen staatlich verwalteten Fonds einzuzahlen, sofern sie nicht widersprechen.
Dieser Fonds würde dann, so das Konzept, aufgrund seiner schieren Größe effizient und kostengünstig das Geld renditeträchtig investieren. Der Bürgerfonds soll – dies ist schließlich das Konzept aus Reihen der Grünen – en passant auch die Finanzmärkte zähmen und die sozial-ökologische Wende befördern.
Bürgerfonds als Vehikel der sozial-ökologischen Wende
Der Bürgerfonds könne hohe Beträge nach sozial-ökologischen Kriterien bereitstellen und damit Unternehmen Anreize für entsprechende Geschäftsmodelle setzen. Jedoch ist höchst fraglich, ob selbst ein milliardenschwerer Fonds, wie es der Bürgerfonds bereits nach kurzer Zeit wäre, überhaupt hinreichenden Einfluss auf die Geschäftspolitik von Unternehmen wie Amazon, Apple oder Rewe nehmen könnte. Aber auch wenn dies gelänge, gäbe es Probleme. Denn wenn sich nicht alle Unternehmen an die sozial-ökologischen Kriterien halten müssen, wird es immer irgendwelche dritte Unternehmen geben, die derartige Standards unterminieren, indem sie (auch zulasten der Bürgerfonds-Rendite!) die dadurch entstandenen Wettbewerbsvorteile für sich nutzen. Daran ändert sicher auch ein Bürgerfonds mit hehren Anlagekriterien nichts. Nötig ist vielmehr ein Ordnungsrahmen, der durch Gesetze, internationale Vereinbarungen oder gewerkschaftliche Durchsetzungsmacht zwingende Vorgaben macht, der für alle Unternehmen gilt.
Denn wenn sozial-ökologische Kriterien nicht oftmals ein Hemmschuh der Gewinnmaximierung wären, wären sie längst in allen Unternehmen Standard. Vielmehr stehen aufrichtig formulierte ethische, ökologische und soziale Anforderungen regelmäßig im Widerstreit mit hohen Renditeerwartungen.
Bürgerfonds als Renditemaschine
Hohe Renditeerwartungen haben die Grünen allerdings durchaus an ihren Bürgerfonds. Vorbilder sind ihnen die skandinavischen Fonds, die gewisse soziale und ökologische Kriterien verfolgen und die in den letzten Jahren beachtliche Renditen erzielten. (Diese Kriterien halten die Staatsfonds freilich nicht davon ab, um der Rendite willen mit ihren Investments unter anderem die Mieten auch in deutschen Großstädten in unerschwingliche Höhen zu treiben.) Anders als bei diesen Fonds ist die Lage der deutschen Mittelschicht, die ihre Ersparnisse kaum noch sinnvoll anzulegen weiß. Nicht nur Riester-Verträge, etliche Bank- und Versicherungsprodukte enttäuschen die geweckten Erwartungen regelmäßig und garantieren lediglich hohe Kosten für Sparer und Verbraucher. Großvermögen hingegen werden oftmals sehr kosteneffizient verwaltet – und zwar unabhängig davon, ob private Verwalter oder staatliche Fonds (z.B. Norwegen oder Schweden) die Geldanlage managen. Ähnlich soll der Bürgerfonds funktionieren. Zum Zwecke der (risikobehafteten!) Vermögensbildung der Bürger*innen und als Alternative zu den untauglichen Angeboten der Banken- und Versicherungswirtschaft mögen derartige Gedankenspiele geeignet sein, zur Sicherung des notwendigen Einkommens der Beschäftigten im Alter jedoch nicht:
Bürgerfonds als Bestandteil der Altersversorgung ist untauglich
Hauptzweck des Bürgerfonds ist im Konzept der Grünen jedoch gerade der Aufbau einer kapitalgedeckten Säule neben dem Umlageverfahren der gesetzlichen Rentenversicherung. Hintergrund ist die falsche Vorstellung, dass beim Umlageverfahren das Geld der Jungen durch direkte Auszahlung an Rentner „verloren“ ist, während im Kapitaldeckungsverfahren das Geld vor fremdem Zugriff und Inflation geschützt für spätere Verwendung sicher angelegt werden könnte. Auf der Grundlage solcher Fehlvorstellungen empfehlen neoliberale Experten den Aufbau von kapitalgedeckten Fonds zur Alterssicherung. Die FDP und Teile der Union wollen sogar die gesetzliche Rente zugunsten kapitalgedeckter Systeme weiter schwächen. Soweit gehen die Grünen immerhin nicht. Aber da sie ihren Bürgerfonds als Ersatz zur Riesterrente sehen und diese zur Kompensation früherer Einschnitte in die gesetzliche Rente geschaffen wurde, setzen auch die Grünen mit ihrem Alterssicherungskonzept in Teilen auf die Ertragskraft internationaler Finanzmärkte, um das notwendige Einkommen der Beschäftigten im Alter zu sichern.
Viele wohlhabende Staaten sind bereits auf diesem Weg und haben aus Beiträgen ihrer Bevölkerung milliardenschwere Fonds aufgebaut. Neben den USA und UK sind hier die skandinavischen Länder oder die Niederlande zu nennen. Dank dieser Fonds, aber auch durch die Geldpolitik der Notenbanken in den letzten Jahren mäandern unvorstellbare Geldbeträge an den internationalen Finanzmärkten auf der Suche nach rentierlichen Gelegenheiten. Dort jedoch herrscht seit längerem Anlagenotstand. Dieser Umstand treibt die Preise an den Aktienmärkten und lässt erahnen, dass für weiteres frisches Geld aus einem Bürgerfonds nicht der geringste gesamtwirtschaftliche Bedarf besteht.
Klumpenrisiko Demographie
Befürworter behaupten dagegen, dass sich Verlustrisiken durch Anlagestrategien ausschließen ließen. Demnach könne man durch die größtmögliche Diversifikation an den internationalen Märkten mit langfristigen Geldanlagen eine sichere Rendite erzielen und Risiken minimieren. Das Problem: sämtliche wohlhabenden Gesellschaften sind alternde Gesellschaften mit einer vergleichbaren Altersstruktur. Bei aller Diversifikation in der Kapitalanlage gibt es also für die künftigen Rentner*innen ein unausweichliches Klumpenrisiko namens Demographie. Denn dieselben Beiträge an die Pensionsfonds, die bereits seit einigen Jahren in die Aktienmärkte gepumpt werden und die dafür sorgen, dass die Indizes scheinbar nur steigen können, werden in den nächsten Jahrzehnten zwingend wieder kontinuierlich zur Rentenzahlung aus den Aktienmärkten abgezogen. Der Wert einer Altersvorsorge zeigt sich allerdings nicht in den Jahren des Ansparens, sondern erst im Zeitpunkt, in dem die Vermögensbestände zwecks Rentenzahlung verwerten werden müssen. Ob dann, wenn die vielen Alten nicht mehr arbeiten, die wenigen Jungen in der Lage sind, die auf den Markt geworfenen Aktienbestände aufzukaufen – und dies zu einem Preis, der zur Finanzierung auskömmlicher Renten notwendig wäre – ist stark in Frage zu stellen. Das Klumpenrisiko liegt also nicht in der spezifischen Zusammensetzung der Geldanlage, sondern in der Ballung der demographischen Risiken bei den zunächst anlegenden und später entsparenden Alterskohorten.
Es zeigt sich also, dass in beiden Systemen, dem Umlage- wie auch einem Kapitaldeckungssystem Ansprüche auf Rentenzahlungen erworben werden, die auf Beitragszahlungen in der Erwerbsphase beruhen. Ob dem Rentner sein Zahlungsanspruch durch Beiträge von Beschäftigten aus der Umlage erfüllt wird oder dadurch, dass Beschäftigte Kapitalanlagen aus den Fondsanteilen ebenjenes Rentners kaufen, ist auf den ersten Blick unerheblich. Auf den zweiten Blick spricht aber vieles dafür, dass sich im Kapitaldeckungsverfahren das demographische Risiko zulasten der künftigen Rentner viel stärker realisiert und ihre Rentenerwartungen herbe enttäuscht würden.
Fazit: Mit einem Bürgerfonds kann vielleicht einem Teil der Bevölkerung ein effizientes Instrument zur (durchaus risikobehafteten) Vermögensbildung geschaffen werden, dem derzeit weder die Banken noch die Versicherungen angemessene Angebote machen. Der Bürgerfonds ist aber weder in der Lage, strukturell sozial-ökologische Kriterien durchsetzen, noch ist eine gegenüber dem Umlageverfahren nachhaltigere Finanzierung der Alterssicherung zu erreichen. Der Bürgerfonds ist sehr gut gemeint, aber eine sehr schlechte Idee.