Für dauerhaft gute Renten und realistische Altersgrenzen
Mit dem Rentenpakt der Großen Koalition hat der Bundestag eine Kernforderung der IG Metall umgesetzt: Die Stabilisierung des gesetzlichen Rentenniveaus. Soweit die gute Nachricht. Allerdings werden die langfristigen Probleme lediglich verschoben und ein grundlegender Kurswechsel in der Rentenpolitik findet nicht statt. Für die IG Metall bleibt das Thema Rente daher mit oben auf der Tagesordnung.
Am 8. November 2018 hat der Bundestag den Rentenpakt von Bundesarbeitsminister Hubertus Heil beschlossen und damit einige Verbesserungen bei der gesetzlichen Rente auf den Weg gebracht: Das Rentenniveau wird bis zum Jahr 2025 auf 48 Prozent stabilisiert und die Beiträge zur Rentenversicherung werden bei 20 Prozent gedeckelt. Ein weiteres Absinken des Rentenniveaus wird dadurch zumindest für einige Jahre gestoppt. Der Rentenpakt enthält darüber hinaus Maßnahmen zur Verbesserung bei der Erwerbsminderungsrente, die zu höheren Rentenzahlungen bei Invalidität führen können. Allerdings gilt diese Verbesserung nur für zukünftige, nicht hingegen für die heutigen Erwerbsminderungsrentnerinnen und -rentner. Ein Wermutstropfen ist zudem die Umsetzung der sogenannten Mütterrente II: Zwar ist die bessere Anerkennung von Erziehungszeiten für vor 1992 geborene Kinder grundsätzlich eine sinnvolle Maßnahme, sie darf jedoch, anders als jetzt umgesetzt, nicht zu Lasten der Beitragszahler finanziert werden. Die beschlossene Regelung wird die Rentenversicherung jedes Jahr mit dreieinhalb Milliarden Euro zusätzlich belasten und dadurch die dringend benötigten Rücklagen der Rentenkasse rasch aufbrauchen.
Stabilisierung lediglich der erste Schritt
Der Rentenpakt ist ein erster Schritt auf dem Weg zur solidarischen Weiterentwicklung der gesetzlichen Rentenversicherung. Im kommenden Jahr könnten außerdem die Renten erneut recht deutlich steigen, um rund 3,2 Prozent im Westen und 3,9 Prozent im Osten. Damit würde sich der positive Trend der letzten Jahre fortsetzen und die Rentenanpassungen würden zumindest kurzfristig mit der Entwicklung von Löhnen und Gehältern Schritt halten. Dieser Trend droht aber nicht von Dauer zu sein. Das geht aus dem Ende November 2018 veröffentlichten Rentenversicherungsbericht hervor.
Rentenniveau: längerfristig schlechte Aussichten
Der Bericht enthält Modellrechnungen zur Entwicklung des Rentenwerts bis 2032. Demnach werden die Rentenanpassungen nach 2025 deutlich geringer ausfallen als die Lohnentwicklung. Würde das durchschnittliche Bruttoarbeitsentgelt bis zum Jahr 2032 nach einer Modellrechnung um 42,96 Prozent steigen, folgten die Renten lediglich um 32,86 Prozent (vgl. Grafik 1). Innerhalb weniger Jahre ergäbe sich dadurch ein Wertverfall beim Rentenniveau von über 10 Prozentpunkte.
Der Grund für die Abkoppelung der Renten von der Lohnentwicklung liegt in der komplizierten Rentenanpassungsformel, mit der die jährliche Rentenanpassung berechnet wird. Die Formel enthält unter anderem sogenannte Dämpfungsfaktoren. Hierzu zählt der Nachhaltigkeitsfaktor, der das Verhältnis von Rentenbeziehern und Beitragszahlern berücksichtigt. Da die Zahl von Rentenbeziehern in absehbarer Zeit schneller steigen wird als die Zahl von Beitragszahlern, wird die Dämpfungswirkung des Nachhaltigkeitsfaktors deutlich zu spüren sein. Ebenso bleibt die Rentenanpassung hinter der Lohnentwicklung zurück, wenn der Beitragssatz der gesetzlichen Rentenversicherung steigt. Auch das wird schon in wenigen Jahren der Fall sein.
Das Ergebnis ist eindeutig: Das Rentenniveau, also das Verhältnis zwischen einer Standardrente (45 Rentenpunkte nach 45 Jahren Durchschnittseinkommen) und dem Entgelt eines Durchschnittsverdieners, wird nach 2025 weiter sinken und nach dem Regierungsbericht 2018 im Jahr 2032 bei nur noch 44,9 Prozent liegen. Es besteht somit weiterer rentenpolitischer Handlungsbedarf.
Arbeiten ohne Ende?
Vor diesem Hintergrund hat die Bundesregierung im Juni 2018 die Rentenkommission „Verlässlicher Generationenvertrag“ eingesetzt, deren Aufgabe es ist, Vorschläge für eine nachhaltige Sicherung und Fortentwicklung des Alterssicherungssystems zu erarbeiten. Der Bericht der Kommission soll im März 2020 vorliegen. Doch bereits jetzt ist absehbar welche Strategie die Arbeitgeber sowie Teile von Politik und Wissenschaft in der Debatte verfolgen: Neben den Appellen zu mehr privater Vorsorge wird man sich auf eine neuerliche Verschärfung der Debatte um die zukünftige Regelaltersgrenze einstellen müssen. 69, 70, 72 Jahre – viele Zahlen geistern durch den Raum, doch eines haben sie alle gemeinsam: Sie gehen an der Realität der Menschen und der Arbeitswelt meilenweit vorbei. Und dennoch wird der Druck auf Beschäftigte, bis zur steigenden Regelaltersgrenze von 67 Jahren zu arbeiten, weiter erhöht und Maßnahmen, die das Arbeiten nach der Regelaltersgrenze attraktiver machen sollen, wurden ebenfalls auf den Weg gebracht.
Konkreten Handlungsbedarf sieht die Bundesregierung in diesem Zusammenhang nicht. In ihrem gerade veröffentlichten Bericht zur Anhebung der Regelaltersgrenze auf 67 Jahre, der seit 2010 alle vier Jahre veröffentlicht werden muss, hält sie die „beschlossene schrittweise Anhebung der Regelaltersgrenze weiterhin für notwendig und für vertretbar“. Die Begründung liefern Daten zur Entwicklung am Arbeitsmarkt für Ältere. Insgesamt habe sich die Erwerbsbeteiligung der Älteren (60 bis 64 Jahre) „ausgesprochen dynamisch entwickelt“ – von 20 Prozent im Jahr 2000 auf 58 Prozent in 2017. Auch die Zahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten in dieser Altersgruppe habe sich in den letzten 10 Jahren von 20,5 auf 40 Prozent mehr als verdoppelt. Zudem habe „die Arbeitswelt“ damit begonnen, die Arbeits- und Leistungsfähigkeit ihrer Mitarbeiter durch entsprechende Maßnahmen zu sichern – insbesondere in Großbetrieben.
Diesen Zahlen der Regierung stehen die Ergebnisse einer repräsentativen Umfrage im Auftrag der IG Metall von Ende Oktober 2018 entgegen. Danach halten es 61 Prozent aller Befragten für nicht realistisch, ihre derzeitige Tätigkeit bis zu einem Renteneintrittsalter von 67 Jahren ausüben zu können. Bei den Arbeiterinnen und Arbeitern sind es sogar 72 Prozent (vgl. Grafik 2).
Auch ein Blick auf die Beschäftigungszahlen von älteren Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern offenbart die grundlegenden Probleme. Zwar hat sich die Beschäftigungsquote älterer Arbeitnehmer ab 55 Jahren in den letzten Jahren zweifellos erhöht, doch ein Großteil der Beschäftigten scheidet weiterhin teils deutlich vor dem Erreichen der Regelaltersgrenze aus dem Erwerbsleben aus - häufig aufgrund von Arbeitslosigkeit oder Erwerbsminderung. Ab dem 60. Lebensjahr sinkt zudem die Vollzeitbeschäftigungsquote rapide. Zudem ist die Gruppe der Menschen ab 55 Jahren noch immer überdurchschnittlich von Arbeitslosigkeit betroffen, die Chance auf Wiederbeschäftigung sinkt mit zunehmenden Alter deutlich. Das Risiko von Langzeitarbeitslosigkeit ist enorm hoch, rund die Hälfte der Arbeitslosen in dieser Altersgruppe hat auch nach zwölf Monaten keine neue Beschäftigung gefunden.
Für die Mehrzahl der Beschäftigten ist die Wahrscheinlichkeit den Übergang in den Rentenbezug aus einer sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung heraus zu schaffen somit insgesamt sehr gering. Unter solchen Bedingungen ist bereits die schrittweise Anhebung der Regelaltersgrenze auf 67 Jahre für viele Beschäftigte zunehmend eine faktische Rentenkürzung, da ihnen häufig nichts anderes übrigbleibt, als mit hohen und lebenslang wirkenden Abschlägen in die Rente zu gehen.
Strukturreform nötig
Statt „Rente mit 67“ oder noch höherer Regelaltersgrenzen und immer mehr Druck auf ältere Beschäftigte plädiert die IG Metall für einen nachhaltigen Neuaufbau einer solidarischen Alterssicherung. Hierzu gehören flexible Übergänge in den Ruhestand und ein realistisch erreichbares Renteneintrittsalter ebenso wie die perspektivische Anhebung des Rentenniveaus. Hierzu hat die IG Metall bereits im Sommer 2016 ein Drei-Phasen-Modell für die Zukunft des Rentenniveaus entwickelt (siehe SOPOINFO 38, September 2016).
Dieses sieht nach einer ersten Stabilisierung, die durch die Verabschiedung des Rentenpaktes nun zumindest bis 2025 sichergestellt ist, eine Ankopplungsphase vor. In dieser muss dafür gesorgt werden, dass die Renten sich wieder vollständig an der Lohnentwicklung orientieren. Anschließend soll das Rentenniveau im dritten Schritt auf ein neues Sicherungsziel angehoben werden und wieder einen höheren Beitrag zur Lebensstandardsicherung leisten.
Solidarische Finanzierung
Ein solcher Neuaufbau bedarf außerdem einer grundlegenden Reform der Finanzierung der gesetzlichen Rentenversicherung. Die IG Metall fordert daher einen solidarischen und ausgewogenen Finanzierungsweg.
So muss umgehend dafür gesorgt werden, dass die Rentenversicherung in Zeiten hoher Beitragseinnahmen deutliche höhere Reserven aufbauen kann als die derzeit maximal möglichen 1,5 Monatsausgaben. Gesamtgesellschaftliche Aufgaben wie die Bekämpfung von Altersarmut oder die Anerkennung von Zeiten der Kindererziehung oder familiärer Pflege müssen vollständig aus zusätzlichen Steuermitteln finanziert werden. Durch eine Erweiterung des versicherten Personenkreises, insbesondere um zukünftige Freiberufler, Selbstständige und Beamte, können mittel- bis langfristig zusätzliche Finanzspielräume eröffnet werden. Wenn die Effekte dieser solidarischen Erwerbstätigenversicherung verbunden mit höheren Reserven nachlassen, würde eine Anhebung des Beitragssatzes notwendig werden.
Für die Rente: Jetzt und Wir!
Das Rentenpaket ist ein richtiger erster Schritt. Die langfristigen Herausforderungen der gesetzlichen Rente und damit die Frage der Versorgungssituation im Alter der heute noch Jüngeren sind mit dem aktuellen Reformpaket jedoch keinesfalls gelöst. Weitere grundlegende Reformen sind nötig. Hier gilt es jetzt die Weichen zu stellen.
Dabei gehören neben dem Rentenniveau und realistischen Regelaltersgrenzen auch die Themen Gute Arbeit für alle und die Weiterentwicklung der Rentenversicherung zu einer Erwerbstätigenversicherung auf den Tisch. Dafür wird sich die IG Metall auch im Jahr 2019 und darüber hinaus mit ihrer Rentenkampagne stark machen.